Die Sünden der Gerechten - Rankin, I: Sünden der Gerechten - The Impossible Dead
keine Angehörigen mehr ausfindig machen können. Jetzt stand ein neuer Name an der Tür: D. Nesbitt. Fox hatte das Gefühl, wenn er den Aufkleber abzog, würde ein anderer mit Mrs Sandersons Namen darunter zum Vorschein kommen und vielleicht noch ein weiterer unter diesem.
Er hielt sich nicht damit auf, an die Tür seines Vaters zu klopfen, sondern trat leise ein. Die Vorhänge waren zugezogen, und das Licht war ausgeschaltet, aber von der Straßenlaterne draußen schien genug Helligkeit herein. Fox konnte die Gestalt seines Vaters unter der Daunendecke ausmachen. Er hatte den Stuhl neben dem Bett fast schon erreicht, als ihn eine heisere Stimme nach der Uhrzeit fragte.
» Zwanzig nach « , sagte Fox seinem Vater.
» Zwanzig nach was? «
» Neun. «
» Also, was führt dich her? « Mitch schaltete das Licht ein und setzte sich auf.
Sein Sohn machte Anstalten, ihm zu helfen. » Ist was passiert? «
» Jude hat sich ein bisschen Sorgen gemacht. « Fox sah, dass der Schuhkarton mit den alten Familienfotos noch auf dem Stuhl stand. Er setzte sich und nahm den Karton auf den Schoß. Das sehr feine Haar seines Vaters, fast wie das eines Babys, hatte einen Stich ins Gelbliche bekommen. Sein Gesicht war schmaler denn je, seine Haut ähnelte Pergament. Aber die Augen waren klar und unbeschwert.
» Wir wissen doch beide, wie sehr deine Schwester ihre kleinen Tragödien braucht. Was hat sie dir denn erzählt? «
» Nur dass dein Gedächtnis nicht mehr so ist, wie’s mal war. «
» Wer kann das schon von sich behaupten? « Mitch nickte Richtung Schuhkarton. » Nur weil ich ihr bei ein paar Fotos nicht sagen konnte, wo genau sie vor über fünfzig Jahren aufgenommen wurden? «
Fox nahm den Deckel vom Karton und holte eine Handvoll Schnappschüsse heraus. Einige waren auf der Rückseite beschriftet: Name, Datum, Ort. Aber es gab auch Fragezeichen. Viele Fragezeichen … und etwas, das wie ein Tränenfleck aussah. Fox rieb mit dem Finger darüber, dann drehte er das Foto um. Seine Mutter schaukelte jeweils ein Kind auf einem Knie. Sie saß am Rand eines Steingartens.
» Das hier ist erst dreißig Jahre alt « , sagte Fox und hielt das Foto hoch, damit sein Vater es sehen konnte. Mitch schaute drauf.
» Möglicherweise Blackpool « , sagte er. » Du und Jude … «
» Und Mum. «
Mitch Fox nickte langsam. » Ist da noch Wasser? « , fragte er. Fox sah nach, aber auf dem Nachttisch stand keins. » Hol mir doch bitte welches, ja? «
Fox ging in das angrenzende Badezimmer. Dort stand neben einem Plastikbecher eine Glaskaraffe. Er nahm an, die Pfleger wollten nicht, dass Mitch nachts Wasser trank, jedenfalls nicht, wenn er ihnen dann deswegen morgens Scherereien machte. Die Packung mit den Inkontinenzeinlagen stand gut sichtbar neben dem Waschbecken. Fox füllte die Karaffe und den Becher und brachte beides ins Zimmer.
» Guter Junge « , sagte sein Vater. Als er trank, liefen ihm einige Tropfen übers Kinn, aber er brauchte keine Hilfe, um den ausgetrunkenen Becher neben sich abzustellen. » Wirst du Jude sagen, dass sie sich keine Sorgen machen muss? «
» Na klar. « Fox setzte sich wieder.
» Und schaffst du das auch, ohne dass ihr euch in die Haare kriegt? «
» Ich werd mir Mühe geben. «
» Für einen Streit braucht es immer zwei. «
» Bist du sicher? Ich glaube, Jude würde das auch ganz gut allein hinbekommen. «
» Kann schon sein, aber manchmal provozierst du sie. «
» Streiten wir uns jetzt auch schon? « Fox sah seinen Vater müde lächeln. » Soll ich gehen, damit du weiterschlafen kannst? «
» Ich schlaf gar nicht. Ich lieg nur rum und warte. «
Fox wusste, wie die Antwort auf die nächste Frage lauten würde, deshalb stellte er sie nicht. Stattdessen erzählte er seinem Vater, dass er einen fruchtlosen Tag drüben in Fife verbracht hatte.
» Früher hast
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