Die Sünden der Gerechten - Rankin, I: Sünden der Gerechten - The Impossible Dead
sie »live« vor der Kamera, wahrscheinlich auf den Stufen des Polizeipräsidiums in Stirling. Sie musste sich die Haare immer wieder aus dem Gesicht streichen, während ihr der Wind um die Ohren pfiff. Diesmal las sie keine vorbereitete Mitteilung ab, klang aber trotzdem sehr professionell. Fox blinzelte sich den Schlaf aus den Augen. Als sie zu reden aufhörte und der Frage eines Journalisten lauschte, schob sie ihr Kinn leicht vor. Fox wollte nicht einfallen, an wen sie ihn erinnerte – vielleicht an Jude; das vorgeschobene Kinn zeigte, dass sie sich konzentrierte. Aber Jude war es nicht.
Es war ein Foto.
Fox zog seinen Laptop aufs Sofa und gab ihren Namen in die Suchmaschine ein.
Alison Pears war eine von nur zwei weiblichen Chief Constables in Schottland. Sie war verheiratet mit dem Bankier Stephen Pears. Fox kannte den Namen. Pears stand häufig in der Zeitung, er brachte alle möglichen Deals zustande und schien damit den in Bedrängnis geratenen schottischen Finanzsektor über Wasser zu halten. Er fand Fotos des Paars – er musste schon zugeben, der Chief Constable konnte sich sehen lassen und mit lässiger Eleganz sogar ein kleines Schwarzes tragen. Im Fernsehen kämpfte Alison Pears allerdings gerade gegen die Elemente und trug dieselbe Uniform wie zuvor. Der Regen schlug ihr fast waagrecht ins Gesicht. Die Tickernachrichten unten am Bildschirm meldeten: Drei Festnahmen im Zusammenhang mit den Bombenanschlägen.
» Flott gearbeitet « , sagte Fox und prostete ihr mit seinem Becher zu.
Dann machte er sich selbst an die Arbeit, suchte so viel über ihren Lebenslauf heraus, wie er finden konnte, wobei es ihm nicht gelang, alte Aufnahmen von ihr aufzutreiben. Trotzdem war er sich ziemlich sicher.
Eigentlich absolut sicher.
1985 hatte sie gerade ihren Abschluss am Police College in Tulliallan gemacht. Damals hatte sie noch nicht Pears geheißen – ihren Ehemann sollte sie erst später kennenlernen und dann seinen Namen annehmen.
Alison Watson wurde 1962 in Fraserburgh geboren. Eigentlich kein großer Sprung von Alison Watson zu Alice Watts. Er griff nach dem Foto in Professor Martins Buch und nach der Immatrikulationsbescheinigung. Da war das leicht vorgeschobene Kinn. Es war auch auf einigen der Fotos im Netz zu erkennen – bei einer Filmpremiere, einer Preisverleihung, einer Graduiertenfeier, Hand in Hand mit ihrem Ehemann. Stephen Pears strahlte. Hatte er sich seine Bräune beim Skifahren oder im Sonnenstudio geholt? Die Haare waren tadellos geschnitten, die Zähne glänzten, und er trug eine protzige Armbanduhr. Er war stämmig, sein Gesicht vom Erfolg aufgedunsen. Zwölf Jahre waren vergangen, seit sie sich kennengelernt hatten, zehn Jahre waren sie bereits verheiratet.
» Ein tolles Paar, Mr und Mrs Pears « , murmelte Fox vor sich hin. Sie war sogar noch besser vernetzt, denn ihr Bruder Andrew war Abgeordneter des schottischen Parlaments. Er gehörte der SNP -Regierung an: Andrew Watson, Justizminister.
Justizminister …
Fox schob den Computer beiseite und ließ sich aufs Sofa fallen, den Kopf in den Nacken geworfen, das Gesicht zur Decke gerichtet.
» Was zum Teufel stell ich damit an? « , fragte er sich.
Und was genau hatte es zu bedeuten?
Elf
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» Verfluchte Scheiße, Foxy, hast du gestern Nacht überhaupt geschlafen? «
» Nicht viel « , gestand Fox, während Kaye einen Stuhl heranzog und sich setzte. Es war kurz nach neun Uhr morgens, und die Cafeteria im Polizeipräsidium machte reißenden Umsatz mit Frühstücksbrötchen und schaumigen Cappuccinos. Fox hatte einen halbausgetrunkenen Becher Tee vor sich und einen Apfel, den er noch nicht angerührt hatte. Auf Kayes Tablett befand
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