Die Sünden der Gerechten - Rankin, I: Sünden der Gerechten - The Impossible Dead
Dämmerung arbeitete für ihn – als eine Kugel nur wenige Zentimeter von seiner linken Schulter entfernt die Borke eines Baums zerfetzte. Ein Splitter drang in seine Wange und brannte wie Feuer. Er versuchte ihn nicht herauszuziehen, lief hakenschlagend weiter.
Er wusste nicht, wie tief der Wald war. Wie lange würde es dauern, bis er offenes Gelände erreichte, wo er zur leichten Zielscheibe würde? Am Himmel stand der Halbmond, überschattet nur von einer dünnen, vorüberziehenden Wolkenschicht. Genug Licht, um zu sehen. Mehr als genug für Stephen Pears …
Eine Kugel steckte in einem Baum: Beweismittel, die nur darauf warteten, gefunden zu werden. Aber würde jemand sie finden? Obwohl sich die Zeiten geändert hatten, konnten Polizisten bisweilen immer noch schlampig sein. Er tastete seine Taschen ab. Wenn er Kreditkarten und Ähnliches verstreute, würde er eine Spur legen, allerdings ebenso für Pears wie für die Ermittler. Eine weitere Kugel zischte an ihm vorbei und schlug in einen Baumstamm ein. Pears war korpulent; wahrscheinlich nutzte er den Fitnessraum zu Hause kaum – hatte Fox eine Chance, ihm einfach davonzurennen?
Egal: Er würde vor den Kugeln davonlaufen müssen, und das war aussichtslos.
Dann musste er ihn eben austricksen – aber wie? Auf der Straße hatte er bessere Chancen. Alles würde davon abhängen, ob ein Wagen vorbeikam, aber warum sollte er nicht endlich auch mal Glück haben? Eine andere Möglichkeit: kehrtmachen und zurück zum Maserati. Pears hatte ihn nicht abgeschlossen, wobei sich Fox aber nicht mehr erinnern konnte, ob er den Schlüssel hatte stecken lassen. Fox’ Handy lag auf dem Rücksitz. Ebenso das kleine Aufnahmegerät, das er sich von Joe Naysmith geliehen hatte. Beides hatte er mitsamt den Batterien dorthin geworfen, allerdings erst nachdem er es eingeschaltet hatte. Alles was im Wagen gesagt worden war, müsste darauf sein und auch hörbar –, jedenfalls hoffte er das.
Das nutzte ihm aber nur etwas, wenn Pears es nicht fand …
Ein weiterer Schuss, erneut daneben. Würde ein Farmer die Schüsse hören? Ein Wilderer? Schweiß lief Fox den Rücken hinunter. Er konnte seine Jacke ausziehen, aber sie war dunkler als sein Hemd, und er wollte seinem Verfolger kein leicht erkennbares Ziel bieten. Seine Brust schmerzte. Er erinnerte sich an den Stich, den er gespürt hatte, als er über die Forth Road Bridge gelaufen war. Stich oder nicht, dieses Mal musste er weiterlaufen.
Der vierte Schuss verfehlte sein Ziel nicht. Er spürte dessen Wucht in seiner linken Schulter. Die Kugel drang ein und trat wieder aus, betäubte ihn einen Augenblick lang. Fast hätten seine Beine nachgegeben, aber das ließ er nicht zu. Ein Brennen, dann schoss ihm der Schmerz in den Arm bis hinunter in die Fingerspitzen.
Er biss die Zähne zusammen. Er wusste, er durfte nicht stehen bleiben, keine Sekunde lang. Warmes Blut quoll aus der Wunde, lief seinen Arm runter. Er packte seine linke Hand mit der rechten und presste sie an die Brust.
Und rannte.
Er riskierte einen Blick zurück, konnte aber keine Spur von Pears entdecken. Er begriff, dass er gejagt wurde. Pears pirschte sich mit seiner gewohnt methodischen Art heran, beobachtete, lauschte und berechnete. Er wollte ihn zermürben. Sein Opfer im Kreis laufen lassen und dann erledigen. Fox verfluchte sich wegen seiner eigenen Dummheit und lief weiter. Bilder schossen ihm durch den Kopf; Mitch und Jude; Imogen Vernal und Charles Mangold. Mangold, der ihn überhaupt erst in die Sache hineingezogen hatte.
Nein, wem wollte er etwas vormachen – das hatte er sich einzig und allein selbst zuzuschreiben.
Paul und Alan Carter.
Scholes, Haldane und Michaelson.
Evelyn Mills und Fiona
Weitere Kostenlose Bücher