Die Sünderin
durchgestellt wurde.
Sie bestand darauf, ihre Nichte zu sehen. Rudolf Grovian vertröstete sie auf später. Augenblicklich lag Cora Bender in einem der Nebenräume. Der Arzt war noch bei ihr, zusammen mit Berrenrath, um dessen Anwesenheit hatte sie gebeten. «Ich nehme an, dass mich einer von Ihnen bewachen muss. Sind Sie so nett und übernehmen den Posten? Sie sehen in diesem Haufen aus wie ein Mensch.»
Werner Hoß hatte noch einmal frischen Kaffee aufgebrüht. Zwei Tassen davon nahm Rudolf Grovian mit in das Büro, in das er Margret Rosch führte. Sie machte auf ihn einen fassungslos betroffenen, aber resoluten Eindruck. Eine attraktive Person, Mitte fünfzig, mittelgroß, kräftige Figur. Dichtes Haar vom gleichen Farbton wie das ihrer Nichte, rötlich braun. Auch das Gesicht wies eine Familienähnlichkeit auf.
Die wichtigste Frage, ob es bei ihrer Nichte jemals Anzeichen einer geistigen Störung, Verwirrtheitszustände oder dergleichen gegeben hätte, beantwortete Margret Rosch mit einem energischen Kopfschütteln. Und bevor sie weitere Auskünfte gab, verlangte sie ihrerseits welche.
Es gab keinen Grund, ein Geheimnis aus den Tatsachen zumachen. Er umriss die Sachlage in ein paar knappen Sätzen. Sie hörte mit steifem Gesicht zu. Als er zum Ende kam, gab es die ersten Antworten.
Der Name Georg Frankenberg sagte ihr nichts. Horsti und Frankie riefen nur ein Achselzucken hervor. Johnny dagegen war ihr ein Begriff. Cora hatte ein einziges Mal über ihn gesprochen und ihn bei dieser Gelegenheit als den Erzengel bezeichnet, der die Menschen aus dem Paradies vertrieb. «Und ihnen gingen die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren.»
Sein Freund nannte ihn Böcki, dachte Rudolf Grovian, er war Satan, führte das Weib durch die Schlange in Versuchung. Und dann kam der Tiger. Er hatte Pranken aus Kristall.
Natürlich klang es verrückt. Aber die Kerbe in ihrer Stirn und die Narbe hatte er mit eigenen Augen gesehen. Und sie hatte auch einen Aschenbecher erwähnt. Man brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was in diesem Keller abgelaufen war. Und wer sich einen Diskoabend mit dem Auge Gottes in freier Natur hatte erschwindeln müssen, packte vermutlich auch eine bittere Erfahrung in Bibelsprüche.
Ob Johnny mit Nachnamen Guitar oder Saxophon genannt worden war, wann Cora Bender ihn kennen gelernt und was genau sie mit ihm erlebt hatte, wusste ihre Tante nicht. Dennoch bestätigte sie indirekt das Gestammel ebenso wie die klar verständlichen Passagen.
Es war vor fünf Jahren gewesen. Im Mai hatte ihr Bruder Margret Rosch angerufen. Er machte sich Sorgen um seine Tochter, vermutete, sie sei in schlechte Gesellschaft geraten.
«Ich habe ihn nicht ernst genommen», sagte Margret Rosch. «In einem Haus, in dem ein Fernseher Teufelswerk ist, ist jeder junge Mann schlechte Gesellschaft.»
Doch so unbegründet, wie sie gedacht habe, seien die Befürchtungen ihres Bruders nicht gewesen, erklärte sie. ImAugust sei Cora verschwunden und drei Monate wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Erst im November habe sich ein Arzt bei Wilhelm gemeldet.
Laut Auskunft dieses Arztes hatte man Cora ein paar Wochen zuvor gefunden, irgendwo am Straßenrand. Sie war furchtbar misshandelt worden und bis dahin ohne Bewusstsein gewesen. Später erzählte sie, sie sei vor ein Auto gelaufen. Der Arzt vermutete jedoch aufgrund ihrer Verletzungen, man habe sie aus einem fahrenden Auto auf die Straße geworfen.
Rudolf Grovian fühlte sich etwas leichter. Was Margret Rosch ihm sonst noch bot, passte ebenfalls ins Bild. Sie sprach von einem Trauma. Was immer ihrer Nichte angetan worden war, Cora konnte nicht darüber reden. Den Selbstmordversuch konnte man damit ins Reich der Fabel schieben, die Schwangerschaft vermutlich auch. Er versuchte, Gewissheit über diesen Punkt zu erhalten. «Ihre Nichte hat wiederholt behauptet, sie habe ein unschuldiges Kind getötet.»
Margret Rosch lachte nervös. «Das hat sie mit Sicherheit nicht. Sie hatte kein Kind.»
«Ich denke auch eher an eine Schwangerschaft», sagte er.
«Sie meinen eine Abtreibung?» Margret Rosch schüttelte den Kopf. «Das kann ich mir nicht vorstellen. Nicht bei Cora.»
«Es könnte eine Fehlgeburt gewesen sein», sagte er. «Wenn sie misshandelt wurde, wäre das nicht verwunderlich. Ist Ihnen der Name des Arztes bekannt, der Ihre Nichte damals behandelt hat?»
«Nein. Ich weiß auch nicht, in welcher Klinik sie behandelt wurde.»
«Sie sagte, sie sei
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