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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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solches Asyl bot sich der Albert-See an, und bald darauf waren wir unter dessen Oberfläche, umgeben von all dem militärischen, menschlichen, industriellen und tierischen Abfall, der dort im Laufe von Afrikas Jahrzehnte langem Abstieg entsorgt worden war. Bald darauf brach die Nacht herein und erlöste uns gnädigerweise von dieser bestürzenden Szenerie. Wir ließen die Außenbeleuchtung des Schiffes ausgeschaltet, während wir am Konferenztisch miteinander redeten, einerseits aus Angst, entdeckt zu werden, andererseits, um uns den hässlichen Anblick zu ersparen.
    Ich spürte Larissas Arm, der sich fest um meinen schlang, während ich mir die Geschichte von Malcolms Verschwinden anhörte.
    Sie war äußerst kurz. Der Erfolg des Washington-Coups hatte ihn offenbar in eine tiefe Depression gestürzt. Im festen Glauben, der Schwindel würde rasch aufgedeckt werden – mit der zwangsläufigen Folge, dass sich alle Welt der gefährlichen Unzuverlässigkeit moderner Informationssysteme bewusst werden würde –, hatte er wie betäubt zugesehen, wie seine Täuschung im Verlauf des Winters und Frühlings nur zu einer neuen Quelle für seichtes Mediengewäsch und akademischen Revisionismus geworden war. Im Sommer hatte er zunächst aufgehört, regelmäßig zu essen, dann hatte er überhaupt nichts mehr zu sich genommen und sein Labor so selten verlassen, dass die anderen sich allmählich schon fragten, wovon er eigentlich lebte. Als er dann schließlich drei Tage hintereinander nicht mehr aus seinem verschlossenen Labor herausgekommen war, hatte Larissa mit ihrer Rail-Pistole die Tür aufgeschossen.
    In dem Labor stand ein Apparat, wie ihn keiner der anderen je zuvor gesehen hatte. Die ursprüngliche Konstruktion war nicht mehr zu erkennen, denn er war stark beschädigt – entweder das Resultat einer wütenden Zerstörungsorgie oder die Folge irgendeiner explosiven Fehlfunktion. Wie auch immer, von Malcolm war nichts zu sehen, keine Leiche, kein Blut; und angesichts dieser Tatsache erinnerte sich Larissa an meine Warnung, Malcolm könnte vielleicht einen Selbstmordversuch unternehmen. Während der nächsten paar Tage suchten sie und die anderen das Meer mit Hilfe des Schiffes und des Turbinenhubschraubers nach einer Spur von ihm ab, und noch etliche weitere Tage lang zerbrachen sie sich den Kopf darüber, wohin er sonst verschwunden sein könnte und wie. Als sie sich schließlich damit abfanden, dass sie das Rätsel nicht lösen konnten, entschied Larissa, dass es an der Zeit sei, mich aufzuspüren (eine Aufgabe, für die sie eine ganze Woche brauchten) und in Erfahrung zu bringen, ob ich vielleicht irgendeine Idee hätte, wohin ihr Bruder in seiner Verzweiflung gegangen sein könnte.
    Schockiert von all dem, aber nicht gänzlich überrascht, gab ich mir alle Mühe, ihnen ein paar Alternativen zur schlimmsten Möglichkeit anzubieten. Aber es war von vornherein aussichtslos, und als sich das immer deutlicher abzeichnete, entschuldigten sich die anderen der Reihe nach und gingen in ihre Kabinen, um die scheinbar einzig mögliche Schlussfolgerung zu verdauen: dass Malcolm nicht nur wegen des Washington-Coups, sondern auch wegen des Versagens seiner letzten technischen Schöpfung derart entmutigt gewesen war, dass er das Gerät zertrümmert und sich dann ins Meer gestürzt hatte. Dass sie kein Indiz für den Selbstmord gefunden hatten, war nicht weiter verwunderlich: Der Nordatlantik war riesig, so riesig, dass es vielleicht nicht einmal die ausgeklügelten Ortungsgeräte von Malcolms bemerkenswertem Schiff geschafft hatten, seinen Leichnam zu finden, bevor er von Raubtieren zerrissen worden oder einfach in irgendeinen Abgrund hinabgesunken war.
    Larissa hatte natürlich geahnt, dass diese schlimmstmögliche Schlussfolgerung unausweichlich war. Doch wegen der außergewöhnlich schmerzhaften Vorgeschichte, die sie mit ihrem Bruder gemein hatte, trug diese Ahnung kaum dazu bei, den Schlag zu dämpfen, als er schließlich kam. Ich war froh, bei ihr zu sein, um seine Wirkung zu lindern, wenn auch nur ein wenig. Es war vielleicht nicht die romantische Wiedervereinigung, die ich so viele Monate lang vergeblich aus meinen Gedanken zu verbannen versucht hatte – tatsächlich blieben wir die ganze Nacht hindurch am Konferenztisch sitzen –, doch als sie immer näher an mich heranrückte, spürte ich wenigstens, dass sie den Verlust ungebrochen überstehen würde und dass wir eine gemeinsame Zukunft hatten. Der Anbruch der

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