Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
ihren Kleidern. »Wir haben keine Zeit für solchen Unsinn. Lunetta ist in den Händen Aleanders!«
Fadrique lehnte sich gegen den Stamm einer Eiche. »Er weiss, dass wir unterwegs zu ihm sind. Er wartet ab.«
»Wie kannst du so sicher sein? Dieser Teufel ist wendig wie ein Salamander.«
»Er will den Schatz seines Bruders. Es ist weit bequemer, ihn uns finden zu lassen, als uns zu verhören und selber danach suchen zu müssen.«
»Und du weißt, wo Gabriel Zimenes das Geld hingebracht haben könnte?«
Fadrique nickte. »Ich bin mir sicher.«
Sidonia griff sich den Sattel ihres Pferdes und hob ihn auf dessen Rücken. »Dann musst du dich umso mehr vor Aleanders Männern in Acht nehmen! Sie kennen Foltermethoden, um jedes Geständnis zu erpressen.«
»Und ich kenne Methoden, mich Schmerzen zu entziehen.«
Sidonia schaute ihn mit neu erwecktem Interesse an. »Du meinst so wie in San Zoilo, wo man dich fliegen sah?«
Der Padre lachte. »Eine übertriebene Darstellung. Ich lernte lediglich die Kunst der Versenkung. In Toledo, dieser einst blühenden Stadt der Wissenschaften, traf ich als Novize einen Meister aus Indien. Es war ihm möglich, im Moment der Weltvergessenheit über glühende Kohle zu laufen, sich auf Bretter zu betten, die von hunderten Nägeln durchbohrt waren.«
»Zauberei!«
»Nur der Sieg des Geistes über die Materie. Wer sich ganz von seinem Körper – diesem Bruder Esel, wie der heilige Franziskus ihn nannte – löst, der kann sich auch eine Handbreit vom Boden heben.«
Sidonia stemmte die Hände in die Hüften. »Klingt ganz nach heidnischer Hexerei.«
»Ach was. Denke an die Säulenheiligen der Bibel, die über Jahre auf Felstürmen verharrten, die nicht mehr als einmal ein Meter maßen. Auch das Christentum kennt die völlige Verleugnung von Schmerz.«
»Wenn du willst, kannst du also fliegen?«
»Im Gegenteil, wenn ich nichts will, erhebt mich Gott – ein wenig.«
Sidonia schüttelte verwirrt den Kopf. »Das verstehe ich nicht!«
Fadrique lächelte. »Du bist eben der Inbegriff blinder Willenskraft. Im Moment sogar die leibhaftige Sturheit.«
»Willst du sagen, dass ich dumm bin?«
»Im Gegenteil. Aber im Moment versuchst du, mit dem Kopf dein Herz zu regieren, und verschließt dich gegen das Leben und seine Wunder. Darum hat die Meseta keinen Reiz für dich und der Jakobsweg keine Bedeutung.«
Sidonia runzelte die Stirn. »Das Leben hat mich gelehrt, nicht auf Wunder zu hoffen oder auf Gefühle zu setzen. Ich habe sie so endgültig verloren wie meine Milchzähne.« Wütend zerrte sie die Sattelgurte fest, ihr Pferd warf widerwillig den Kopf in den Nacken.
»Du irrst, Sidonia. Deine Leidenschaft ist stärker denn je. Du musst nur lernen, alle Gefühle zuzulassen, nicht allein die, die dir angenehm oder vertraut erscheinen. Verbünde dich mit deinem Schmerz und deinem Schicksal, dann wird dir dein Wunder begegnen.«
Sidonia schnaubte und biss in eine Orange, die sie einem vorbeiziehenden Kaufmann aus Valencia abgekauft hatten. »Ich frage mich, ob du der rechte Mann bist, um über Gefühle zu predigen!«
»Du meinst wegen Doña Rosalia?«
Sidonia nickte widerwillig.
»Ich werde sie immer lieben. Ich wuchs in Toledo mit ihr auf wie mit einer Schwester!«
»Die sie aber nicht ist!«
Ärgerlich warf Sidonia die Orange von sich und blitzte den Padre an.
Fadrique klaubte die Orange aus dem Staub, polierte sie und lächelte. »Ich sehe, die Wut ist dir nicht abhanden gekommen. Gut so, das ist ein Anfang. Glaube mir endlich, Doña Rosalia war meine Braut – mehr nicht. Unsere Eltern waren Nachbarn. Jeder in Toledo wusste, dass unsere Vorfahren Juden waren. Unsere Großeltern waren dem Glauben treu, doch dann begann die Zeit der Verfolgung. Meine Eltern konvertierten und schickten mich als Student zu den Hieronymiten.«
»Hast du Doña Rosalia darum nicht geheiratet?«
Fadrique schüttelte den Kopf und erhob sich. »Ich hätte es getan, aber Rosalias Eltern waren nicht bereit abzuschwören. Man verbrannte sie, und Rosalias letzte Rettung war ihre Heirat mit dem Grafen Maximilian von Löwenstein. Er war ein Höfling des spanischen Königs. Ein mächtiger Ritter und bezaubert von Rosalias Schönheit. Sie musste nur ja sagen, um sich von ihm nach Deutschland bringen zu lassen ...«
»Und ihm verschweigen, dass sie bereits mit einem Kind schwanger ging. Mit deinem Sohn Aleander.«
»Keiner von uns wusste zu diesem Zeitpunkt von der Schwangerschaft. Als mich die Nachricht von
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