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Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisa Brand
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wieder kreuzten.
    Nie schien es ein Zufall zu sein, wer wem noch einmal begegnete. Es war, als lenke Gott das Gespräch zwischen bestimmten Menschen. Nicht immer waren es die angenehmsten Gesellen, die man wieder traf, aber immer waren es Reisende, die einen Eindruck hinterlassen hatten, Fragen, ein Gefühl, eine Geschichte, ein Rätsel.
    Es war eines der großen Geheimnisse dieses Weges, er führte Fremde zueinander und gab ein Gefühl von Geborgensein inmitten der Fremde. Unbekannte machten einen mit unbekannten Seiten seiner selbst bekannt. So wie Fadrique sie gelehrt hatte, ihren Schmerz zu spüren.
    Sidonia richtete in stillem Dank ihren Blick in den Himmel. Wie auf der Negrona spürte sie eine Verbindung zu den aufblinkenden Sternen. Es war kein so überwältigendes Gefühl wie beim ersten Mal, aber vertraut und tröstlich. Sie nahm den letzten Anstieg zum Kreuz, streifte es mit einem Blick und wollte weiter, denn die Finsternis nahm zu. Da machte sie am Fuße des Kreuzes eine kauernde Gestalt aus.
    »Zimenes«, entfuhr es Sidonia. Sie straffte die Zügel und glitt vom Pferd, rannte zum Steinhügel hin und erklomm ihn. Die Steine rutschten unter ihren Füßen, der Hügel geriet in Bewegung und zwang sie, gebückt weiterzukriechen. Erst als sie den Kauernden erreichte, erkannte sie ihren Irrtum. »Jona!«
    Der Jüngling hob seinen Kopf. Er sah müde, grau und abgezehrt aus. Als er Sidonia erkannte, belebten sich seine Züge. »Ich habe dich gefunden«, stieß er mit sich überschlagender Stimme hervor. Er packte das Kreuz und zog sich hoch. »Sidonia, ich habe dich überall gesucht!«
    Er öffnete die Arme und zog sie an sich. Sidonia ließ ihn eine Weile gewähren, ertrug es sogar, dass er ihre Stirn küsste. Erst als er ihr Gesicht mit seinen Händen umfasste und sie auf den Mund küsste, löste sie sich sanft von ihm.
    »Oh Jona, wie konntest du dein Tal verlassen, deine Eltern? Was hast du dir dabei gedacht!«
    »Ich handelte wie du. Ich will leben! Mir fehlte der Mut, bis ich dich kennen lernte ...«
    Weiter kam er nicht.
    Eine doppelte Salve durchriss die Stille. Sidonia nahm den Schwefelgestank einer brennenden Lunte war. Ungläubig drehte sie sich um und sah einen Trupp schwarzer Reiter, die sich um ihr Pferd scharrten. Drei der Männer hielten Feuerrohre im Anschlag, wieder blitzte es aus den Mündungen. Kugeln sausten wie wütende Bremsen auf sie zu.
    Sidonia duckte sich und wollte Jona herabziehen. Der Jüngling stieß einen gurgelnden Schrei aus. Sidonia wandte sich um. Blut schoss aus seinem Mund. Das Weiß seiner Augen leuchtete hell. Es lag weniger Entsetzen als vielmehr maßloses Staunen in seinem Blick.
    »Jona!«
    Sidonia kniete sich neben ihn hin und bettete seinen Kopf in ihren Schoß, strich ihm über die Stirn und küsste sie. Wieder wandelte sich sein Gesicht, als probiere der Tod gleich einem unzufriedenen Künstler aus, welche Maske seine Absichten am besten träfe.
    »Jona«, flüsterte Sidonia und sah, dass sein Blick starr wurde. Sie riss sich von dem Anblick los, der unerträglich war, und wirbelte zu den Männern am Fuß des Hügels herum. Ihr Mund öffnete sich zum Schrei. Er wurde von einer weiteren Salve erstickt. Ein harter Schlag traf sie von vorn, brennender Schmerz breitete sich in ihrem Brustkorb aus und nahm ihr den Atem. Sie ging in die Knie, griff nach ihrer Brust, spürte warme Flüssigkeit, die aus dem Stoff ihres Hemdes hervorsickerte. Sie verspürte eine Welle von Wärme, dann überkam sie Übelkeit und das Bedürfnis zu schlafen. Die Dunkelheit vor ihren Augen war tiefer als die der einsinkenden Nacht. Das also ist der Tod, dachte Sidonia. Sie schloss die Augen und glaubte zu fallen. Von fern drang der aufgeregte Ruf eines Mannes an ihr Ohr.
    »El padre!«
    Dann nichts mehr.

Vierter Teil
    S ANTIAGO DE C OMPOSTELA, IM O KTOBER 1527
    D IE WICHTIGSTE S TUNDE IST DIE G EGENWART,
    DER BEDEUTENDSTE M ENSCH DER,
    DER DIR GERADE GEGENÜBERSTEHT,
    UND DAS WICHTIGSTE M ERK IST DIE L IEBE
    Meister Eckhart, deutscher Mystiker

1
    Sprühregen raubte dem Granit der Kirchen und Paläste das Licht. Unablässig nadelte er in die Gassen, tröpfelte von den Nasen der Heiligenfiguren, gurgelte in Regenrohren, drang in die Kleidung und machte die Menschen mürrisch. Traurige Klanggirlanden wanden sich durch Bogengänge: Die Musik des galicischen Dudelsacks. Nur die Farben wilder Mauerblumen an Fassaden und Dächern trotzten dem Grau des Himmels und der Seelen. Ganz Compostela schien an

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