Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
unmöglich, du sagtest, der Mönch hat dich verführt und sein Bruder, der Ritter, ist verschollen.«
Sidonia strich sich müde über die Stirn. »Ach, Goswin, verstehst du nun endlich, wie Aleander mich getäuscht hat? Er schlüpfte in die Rolle des Grafen.«
»Er gab vor, sein eigener Bruder zu sein?«
Sidonia nickte. »Er tat es, um sich meine Mitgift zu sichern. Mein Vater war bereit, ein Vermögen dafür auszugeben, um sich den Namen der Löwensteins zu sichern. Er war umso mehr darauf erpicht, als mein Bruder Lambert als Ketzer verdächtigt wurde. Der Name Löwenstein war unsere letzte Rettung. Deshalb war ich Aleander, den ich für Adrian hielt, vor der Heirat zu Willen ...«
»Du sagtest, er habe dich vergewaltigt!«
Sidonia biss sich auf die Lippen. »... da ich ihm also zu Willen war, erpresste er meinen Vater sogar um eine noch größere Summe, damit die gefälschten Ehedokumente unterzeichnet würden. Und das wurden sie. Ich bin gefangen in einem Netz aus Lügen.«
»Was für ein Teufel!«
»Bitte erkläre es Gabriel, wenn du ihn siehst! Geh zu ihm, hole ihn hierher. Ich muss endlich mit ihm reden!«
Goswin zögerte. »Es wird ihm nicht gefallen.«
»Es ist die Wahrheit. Bitte!«
Widerwillig ging Goswin zum Hoftor. »Ich kann nichts versprechen!«
»Versprich wenigstens, dass du zurückkommst.«
»Es wird eine Weile dauern.«
7
Unruhig ging Sidonia in dem Zimmer auf und ab, das die Magd für sie gelüftet und gereinigt hatte. Sie hatte ein Bad genommen, die neuen Kleider angelegt, die Goswin ihr am Morgen auf einem Markt nahe Santiago gekauft hatte, und ein wenig gegessen. Nun blieb nichts zu tun, als zu warten. Sie wartete bereits seit zwei Stunden. Von der nahen Kirche klang Glockengeläut herüber. Elf Schläge. Goswin war vor vier Stunden aufgebrochen. Lag das Versteck Gabriels außerhalb von Santiago? Nervös fuhr Sidonia mit den Händen über den Samt eines Vorhangs. Sie ließ den Blick über das geschnitzte Himmelbett fahren. Das Kopfteil war mit dem Wappen der Löwensteins verziert.
Der Ritter hatte trotz seines dürftigen Vermögens ein luxuriöses Haus geführt. Mit aufkeimendem Ärger betrachtete sie die Wandleuchter, in denen Wachskerzen brannten. Für solchen Tand war sie verkauft worden. Um die Schulden eines verschwendungssüchtigen Ritters zu decken und seine Fassade auf Lebzeiten zu finanzieren. Verkauft an einen Mann, der zudem eine andere geliebt hatte.
Immerhin , meldete sich eine Stimme in ihr zu Wort, hat er nie vorgehabt, dich zu heiraten! Er wollte auf andere Art ein Vermögen machen. Und das hatte er getan. Nicht er hat Geld von dir genommen, sondern du von ihm, denk an deinen Diebstahl auf der Negrona. Was für ein Trost! Sidonia betrachtete ihre spöttische Miene in einem venezianischen Spiegel. Zuletzt hatte sie ihr Gesicht in jenem Zimmer in Santander erforscht, das Aleander ihr zugewiesen hatte. Damals war sie entsetzt gewesen, in das Antlitz eines naiven Mädchens zu schauen. Es schien unverändert trotz all der Grausamkeiten, die der Dominikaner ihr und ihrer Familie angetan hatte. Selbst seine widerlichen Berührungen hatten nichts von ihrem Liebreiz zerstört, und auch der vermeintliche Tod Gabriels hatte keine Spuren hinterlassen. In den Fängen Aleanders hatte sie ihre Maske zur Perfektion entwickelt. Erst auf dem Jakobsweg und an Fadriques Seite hatte sie den Schmerz kennen gelernt. Den Schmerz, die Liebe, den Tod.
Sie trat näher an den Spiegel heran, aus dem ihr eine wissende Frau entgegenblickte. Ihre Gesichtszüge traten scharf hervor, sie musste abgenommen haben, ihre Haut war gebräunt wie die einer Bäuerin. Ob Gabriel dieses Gesicht gefallen würde? Der Ausdruck von Kummer um ihren Mund? Die kleine Falte zwischen ihren Augen, die sich bildete, wenn sie an ihn dachte.
Warum wollte er sie nach Hause schicken? Nach allem, was passiert war? Wieso wollte er sie nicht sehen? Genauso gut hätte er sie bei dem Kreuz liegen und sterben lassen können. Tränen stiegen in ihre Augen. Rasch wandte sie sich ab.
Ihr Blick fiel auf die versiegelten Briefe Doña Rosalias. Sie hatte sie bisher nicht lesen wollen. Sie wollte nichts über Köln, Lambert oder die Sorgen ihres Vaters wissen. Nicht, solange noch Hoffnung bestand, Gabriel wiederzusehen. Außerdem galt es, zunächst Lunetta zu helfen und herauszufinden, ob der Ritter tatsächlich noch lebte. Wild jagten sich die Gedanken in ihrem Kopf. Nein, sie konnte sich nicht auf so viele Dinge gleichzeitig
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