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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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Schulden zu begleichen. Auch sie bat darum, neue Seide zu erhalten, genauso wie die darauf folgende.
    Als bis zum Mittagsläuten sieben der acht Seidmacherinnen ihre zweihundertfünfzig Gulden zurückgezahlt hatten, konnte Lisbeth ihre Freude kaum mehr im Zaum halten. Ihr Unterfangen schien von Erfolg gekrönt! Alle diese Seidmacherinnen, die bislang von ihren Verlegerinnen abhängig gewesen waren, hatten nun wieder ihre eigene Seide gewebt und gute Geschäfte gemacht. Nicht eine bislang, die sie um Aufschub gebeten hätte!
    In einiger Zeit – vielleicht in einem Jahr, wenn sie sparsam wirtschafteten, oder in zweien – hätten diese Frauen genug verdient, um selbst ihre Seide kaufen zu können, hoffte Lisbeth. Dann würde sie Fygens Rohseide anderen Seidmacherinnen geben können. Nach und nach würde sie mit Katryns Geld auf diese Weise vielen dazu verhelfen können, sich auf die eigenen Beine zu stellen.
    Am Nachmittag erschien dann auch Ida Rummels.
    »Habt Ihr einen guten Preis für Eure Seide bekommen?«, fragte Lisbeth ihre ehemalige Weberin freudestrahlend.
    »Ja, das habe ich«, antwortete Ida ein wenig gepresst und ließ sich auf der Kante des Stuhles nieder, den Lisbeth ihr anbot.
    »Das freut mich. Dann wollt Ihr sicherlich neue Seide haben?«
    Die Seidmacherin seufzte und fixierte einen Punkt an der Wand über Lisbeths rechter Schulter. »Ja«, sagte sie zögerlich.
    Lisbeth ließ sich von dieser Einsilbigkeit nicht beirren. Sie wollte ihre Freude mit Ida teilen. »Habt Ihr etwas Geld beiseitelegen können?«, fragte sie aufgeräumt.
    »Auch das«, war die knappe Antwort. Entgegen ihrer sonstigen Art erschien Ida Lisbeth heute reichlich reserviert. Ohne ein weiteres Wort legte die Weberin ein Ledersäcklein mit Münzen auf den Tisch und machte Anstalten, sich zu erheben.
    Ernüchtert blickte Lisbeth Ida an. Nicht, dass sie überschwenglichen Dank erwartet hatte, doch es enttäuschte sie, dass die Seidmacherin keine Freude, ja nicht einmal Zufriedenheit über ihren eigenen Erfolg erkennen ließ. Vielmehr vermeinte Lisbeth so etwas wie Zerknirschung in Idas breitem Gesicht zu lesen.
    Plötzlich schien Ida es sich anders überlegt zu haben und ließ sich schwer zurück auf ihren Stuhl sinken. »Ach, sei es drum! Ihr wart immer so gut zu mir, Ihr habt verdient, die Wahrheit zu erfahren. Ich habe die Seide nicht verwebt«, sagte sie.
    »Nicht verwebt?«, fragte Lisbeth überrascht. »Was habt Ihr sonst damit getan?«
    »Ich habe sie verkauft«, gestand Ida und schlug voller Scham die Hände vor das Gesicht.
    »Aber warum denn das?« Lisbeth schüttelte verständnislos den Kopf. Es ergab für sie keinen Sinn.
    Ida nahm die Hände vom Gesicht, und mit belegter Stimme begann sie zu erzählen: »Wenige Tage, nachdem Ihr mir die Seide geschickt hattet, kam sie zu mir. ›Wie ich höre, habt Ihr eine große Menge Seide bekommen‹, sagte sie. ›Was habt Ihr damit vor?‹
    ›Verweben natürlich‹, gab ich zur Antwort.
    ›Und wovon wollt Ihr sie spinnen lassen? Wovon lebt Ihr in der Zwischenzeit? Und was, wenn Ihr die Seide nicht rechtzeitig verkaufen könnt, bevor die Ime Hofe ihr Geld wiederhaben will? Was macht Ihr dann?‹ Es waren keine dummen Fragen, die sie da gestellt hatte. Fragen, über die ich mir auch schon Gedanken gemacht hatte.« Ida brach ab und blickte Lisbeth an, unsicher, wie diese ihre Worte aufnehmen würde. Doch in den Augen ihrer einstigen Brotgeberin las sie weder Zorn noch Vorwurf. Nur eine tiefe Betroffenheit.
    Ida holte tief Luft, dann fuhr sie fort: »Sie hat einen Beutel Geld direkt vor meiner Nase auf den Tisch gelegt und gesagt, sie wolle mir ein Geschäft vorschlagen. ›Ich kaufe Euch die Rohseide ab, hier und jetzt. Für zweihundertachtzig Gulden den Zentner. Das sind dreißig Gulden mehr pro Zentner, als Ihr der Ime Hofe schuldet. Fünf Zentner habt Ihr erhalten – das macht also einen Gewinn für Euch von glatten einhundertundfünfzig Gulden. Ich lasse die Seide spinnen, und Ihr webt sie dann für mich. Ich zahle Euch den gewohnten Lohn, und Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, dass Ihr das Geld nicht pünktlich zurückzahlen könnt‹, hat sie gesagt.«
    Fassungslos starrte Lisbeth Ida an. Das konnte – das durfte nicht wahr sein! Wie konnte jemand nur so einen perfiden Plan aushecken und die missliche Lage der armen Seidmacherinnen so schamlos ausnutzen?
    Ida zögerte, als überlege sie, ob sie die nächsten Worte aussprechen sollte, doch dann entschloss sie sich,

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