Die Tochter des Magiers
Leere, doch seine Augen blitzten dabei so gefährlich, als
habe er irgend etwas unglaublich Abstoßendes entdeckt. »Ich habe so
manche alte Rechnung zu begleichen.«
»Und da war ein großer Hund im Park. Ein
goldener. Er hat an alle Bäume gepinkelt.«
Nate saß auf Roxannes Schoß. Sie drücke ihn an sich und
lachte. »An alle?«
»Bestimmt an hundert.« Er schaute sie flehentlich
an – mit den Augen seines Vaters. »Darf ich einen Hund haben?
Ich bringe ihm dann bei, sich zu setzen und Pfötchen zu geben und tot
zu spielen.«
»Und an Bäume zu pinkeln?«
Er grinste und schlang seine Arme um ihren Hals. O ja, er weiß
genau, wie man jemanden um den Finger wickelt, dachte sie. Seit seinem
ersten verschmitzten Grinsen als zahnloses Baby war er das Ebenbild
seines Vaters gewesen. »Ich will einen richtig großen Hund. Er soll
Mike heißen.«
»Ach, einen Namen hat er auch schon? Na, dann wollen wir mal
sehen.« Sie drehte eine von Nates Locken um ihren Finger. Genauso
bringt er es immer wieder fertig, mich einzuwickeln, dachte sie.
»Wieviel Eis hast du gegessen?«
»Wieso weißt du, daß ich Eis gegessen habe?« staunte er. Auf
seinem Hemd war ein verräterischer Schokoladenfleck, und seine Finger
waren verdächtig klebrig. Aber Roxanne hütete sich davor, ihre
Entdeckungen auszuplaudern. »Weil Mütter alles wissen und alles sehen,
besonders wenn sie auch noch Zauberinnen sind.«
Er überlegte und meinte dann nachdenklich: »Wieso kann ich nie
die Augen hinten in deinem Kopf sehen?«
»Nate, Nate«, seufzte sie. »Ich habe dir doch gesagt, daß es
unsichtbare Augen sind.«
Heftig zog sie ihn an sich und preßte die Lippen zusammen. Sie
wußte selbst nicht, warum ihr plötzlich so wehmütig zumute war und
wollte auch gar nicht weiter darüber nachdenken. Das einzige, was
zählte, war das Kind in ihren Armen.
»Geh jetzt und wasch dir die Hände, Nate. Ich muß zu meiner
Verabredung.«
»Du hast gesagt, wir gehen in den Zoo.«
»Das machen wir auch.« Sie küßte ihn und stellte ihn auf seine
kurzen stämmigen Beine. »In einer Stunde bin ich wieder da, dann sehen
wir nach, wie viele Affen genauso ausschauen wie du.«
Lachend rannte er davon. Roxanne bückte sich, um die
Spielzeugautos, die Plastikfiguren und Bilderbücher aufzulesen, die
über den Teppich verstreut waren. »Alice? Ich gehe jetzt. Bin in einer
Stunde wieder da.«
»Laß dir ruhig Zeit«, rief Alice fröhlich, und Roxanne
lächelte.
Die unerschütterliche, zuverlässige Alice mit ihrer sanften
Stimme, dachte sie. Weiß Gott, sie hätte es nie geschafft,
weiterzuarbeiten ohne ihre Unterstützung.
Dabei hätte sie Alice um ein Haar gar nicht eingestellt, weil
sie so zerbrechlich wirkte und so ein leises Stimmchen hatte. Doch aus
der ganzen Schar der Kandidatinnen, die sich vorgestellt hatten, war
Alice die einzige gewesen, bei der Roxanne das Gefühl gehabt hatte, daß
Nathaniel in ihrer Obhut sicher und glücklich sein würde.
Jetzt gehörte Alice längst zur Familie.
Roxanne verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter, um
sich mit dem Mann zu treffen, der auch einmal zur Familie gehört hatte.
Aber das war einmal, dachte sie und straffte energisch die Schultern,
ehe sie an die Tür klopfte. »Pünktlich wie immer«, bemerkte Luke, als
er öffnete.
»Ich habe nur eine Stunde, also kommen wir gleich zur Sache.«
Sie rauschte an ihm vorbei. Der leichte Duft nach Wildblumen, der sie
umgab, weckte quälende Erinnerungen in ihm.
»Eine heiße Verabredung?«
Sie dachte an ihren Sohn und lächelte. »Ja, ich will ihn nicht
gern warten lassen.« Sie setzte sich in einen Sessel und schlug die
Beine übereinander. »Und nun leg die Karten auf den Tisch, Callahan.«
»Wie du willst, Nouvelle.« Er sah, daß ihre Lippen zuckten,
aber sie bezwang rasch den Impuls, zu lachen. »Wie wäre es mit einem
Glas Wein vor dem Essen?«
»Keinen Wein, kein Essen«, wehrte sie ab. »Rede.«
»Wie lief die Pressekonferenz?«
»Hast du dir Sorgen gemacht?« fragte sie spöttisch und lehnte
sich zurück. »Ich habe bekanntgegeben, daß ich einen Partner in die
Nummer aufnehme, der alles in den Schatten stellt, was man bislang
gesehen hat. Einen Zauberer, der die ganze Welt bereist hat und die
Geheimnisse der Mayas, die Mysterien der Azteken und die Magie der
Druiden gelernt hat.« Sie lächelte ein wenig. »Du siehst also, dir geht
ein Ruf wie Donnerhall voraus. Ich hoffe nur, du wirst ihm auch
gerecht.«
»Ich denke schon.« Er nahm ein Paar
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