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Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Titel: Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Frage zu überhören. Erik trat auf die Straße, Sören dicht hinter sich, die Tür der Pension Störtebeker fiel krachend hinter ihnen ins Schloss.
    »Verdammt!«, sagte Erik. »Verdammt, verdammt!«
    Der Abend war sternenklar und windstill gewesen. Zu still. Das wusste Erik, als er von den rüttelnden Rollläden und den Zweigen geweckt wurde, die ans Fenster peitschten. Hatte es eine Sturmwarnung gegeben? Nein, er legte sich ins Kissen zurück und schloss die Augen wieder. Wer auf einer Nordseeinsel wohnte, lebte mit dem Wetter. Wenn es eine Sturmwarnung gab, wurde überall auf der Insel darüber geredet. Die Alten erzählten von der letzten Sturmflut, und die Jungen sahen zu, dass sie alles in Sicherheit brachten, was Beute des Windes werden konnte. Unmöglich, darüber hinwegzusehen, ohne die Gefahr zu erkennen.
    Wenn der Wind ums Haus heulte so wie jetzt, hatte Lucia sich dicht an ihn geschmiegt, wie ein Kind eine Hand auf seine Brust gelegt und ihren Kopf in seine Halsbeuge. »Sag mir, dass es keine Sturmflut gibt«, hatte sie dann gebettelt.
    Es war niemals eine Sturmflut geworden. Lucia hatte nie eine erlebt. Zum Glück. Wenn der Sturm sich in der Nacht erhoben hatte, waren sie oft am nächsten Morgen zum Strand gegangen, wo die rote, zerfetzte Fahne flatterte. Die Schultern voran, mit vorgelegtem Körper, hatten sie sich vorwärtsgestemmt, und Lucia hatte gelacht. Sprechen konnten sie nicht, denn der Wind verschlug ihnen den Atem. Lucia hatte den Sturm einmal mit der Liebe verglichen, mit der Umarmung eines feurigen Liebhabers. Das Heranziehen und Loslassen, das Locken und Drängen, das Kosen und Niederdrücken. »Wie die Leidenschaft«, hatte sie gesagt.
    Nein, ein Sturm war es nicht, noch nicht, aber ein heftiger Wind, der immer wieder etwas Neues fand, mit dem sich klappern, rasseln und klirren ließ, eine neue Ritze, in die er heulen konnte, und neue Wolken, die er vor dem Mond hertrieb. Erik stand auf. Er würde keinen Schlaf finden, das wusste er.
    Er warf sich einen Bademantel über und schlich die Treppe hinab. Die Nacht war hell, er machte kein Licht. Wo mochte Björn Mende jetzt sein? Ob er irgendwo Unterschlupf gefunden hatte? Es gab zu dieser Zeit viele ungenutzte Ferienapartments. Wahrscheinlich hatte er sich Zugang zu einer leer stehenden Wohnung verschafft und verbrachte nun die Nacht unter einem sicheren Dach. Wohin mochte er sich wenden, wenn er erwachte? Natürlich würde er versuchen, die Insel zu verlassen. Aber das würde ihm nicht gelingen. Jedenfalls nicht, wenn die Kontrollen so streng und gewissenhaft durchgeführt wurden, wie Erik sie angeordnet hatte.
    Auch Mamma Carlotta erwachte. Vor dem Fenster ihres Zimmers führten zuckende Schatten ein verrücktes Schauspiel auf, sie rasten über die Wände, verharrten manchmal sekundenlang völlig regungslos, um dann wieder ihren Tanz nach der heulenden Melodie zu beginnen, nach dem Rhythmus des Windes. Carlotta stand auf. Sie würde nicht schlafen können bei dem Spektakel, das dort draußen aufgeführt wurde. Und außerdem wollte sie unter den Zuschauern sein.
    Während sie ihren Bademantel überzog, brüllte der Wind auf, dass sie erschrak, dann sang er einen lang anhaltenden, klagenden Ton, der immer schärfer wurde und die Nacht durchschnitt.
    Im Wohnzimmer stand schon ein weißer Bademantel am Fenster. »Enrico?«
    Ihr Schwiegersohn drehte sich um. Sie konnte nicht erkennen, ob er lächelte, aber sie hörte es an seiner Stimme. »Du kannst auch nicht schlafen?«
    Schweigend sahen sie eine Weile gemeinsam dem Spiel des Windes zu, dann fragte Mamma Carlotta: »Weiß Andresen eigentlich, dass sein Auslieferer der Mörder seiner Frau ist?«
    Erik nickte in den Mond. »Er war fassungslos.«
    »Und wusste er, dass seine Frau mit Björn Mende ein Verhältnis hatte? Oder ahnte er es?«
    »Nein, er war völlig überrascht. Natürlich wusste er auch nicht, dass Mende Christa Kerns Stiefsohn war.«
    »Der arme Mann!« In einem Augenblick der Windstille sah Mamma Carlotta, dass Erik grinste. »Ja, ich weiß, was du denkst. Sympathisch ist er mir immer noch nicht, aber Mitleid habe ich nun doch mit ihm.« Und leise fügte sie hinzu: »Hoffentlich geht es wenigstens Saskia bald besser. Und hoffentlich kann er dann mit ihr nach Boston fliegen und sie operieren lassen. Es wäre schrecklich, wenn er auch noch das Kind verlöre.«
    Erik antwortete nicht, aber Mamma Carlotta wusste, dass er ebenfalls Mitleid mit Andresen hatte. Auch ein ungeliebter

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