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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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die
    Schlüssel klingelten munter an ihrem Stahlring, und wir kamen
    schließlich durch eine Stahltür, die außen wie Holz und innen in Schlachtschiffgrau angestrichen war.
    Degarmo stand am Schaltertisch und sprach mit dem Schalterbe‐
    amten.
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    Er wandte mir seine metallisch blauen Augen zu und sagte: »Wie
    geht’s uns denn?«
    »Prima.«
    »Gefällt Ihnen unser Gefängnis?«
    »Ein prima Gefängnis.«
    »Captain Webber wünscht Sie zu sprechen.«
    »Das ist prima.«
    »Kennen Sie denn kein anderes Wort als prima?«
    »Im Augenblick nicht«, sagte ich. »Und hier nicht.«
    »Sie hinken ja ein wenig«, sagte er. »Sind Sie über was gestolpert?«
    »Ja«, sagte ich, »ich bin über einen Gummiknüppel gestolpert. Er ist hochgesprungen und hat mich von hinten ins linke Knie gebissen.«
    »Das ist sehr bedauerlich«, sagte Degarmo mit leerem Blick. »Ha‐
    ben Sie Ihre Sachen wiederbekommen?«
    »Ich hab alles«, sagte ich. »Man hatte sie mir gar nicht abgenommen.«
    »Na, das ist ja prima«, sagte er.
    »Sie haben recht«, sagte ich, »es ist prima.«
    Der Beamte hinter dem Schalter hob seinen zottigen Kopf und sah
    uns beide lange an. »Sie sollten Cooneys kleine irische Nase sehen«,
    sagte er, »wenn Sie was sehen wollen, was wirklich prima ist. Sie ist
    über sein Gesicht gebreitet wie Sirup über einen Pfannkuchen.«
    Degarmo sagte geistesabwesend: »Was ist denn passiert? Hat’s ’ne
    Schlägerei gegeben?«
    »Nicht daß ich wüßte«, sagte der Beamte. »Vielleicht war’s dersel‐
    be Gummiknüppel, der ihn angesprungen und gebissen hat.«
    »Für einen Sergeant auf der Schreibstube quatschen Sie verdammt
    viel«, sagte Degarmo.
    »Ein Sergeant mit Schreibstubenarbeit quatscht immer gott‐
    verdammt zu viel«, sagte der Sergeant. »Vielleicht hat er’s deshalb nicht zum Lieutenant bei der Mordkommission gebracht.«
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    »Sie sehen, wie wir hier sind,« sagte Degarmo. »Eine einzige große
    glückliche Familie.«
    »Mit einem strahlenden Lachen auf unseren Gesichtern«, sagte der
    Sergeant, »und die Arme weit für ein herzliches Willkommen geöff‐
    net und einen schweren Stein in jeder Hand.«
    Degarmo winkte mir mit dem Kopf zu, und wir gingen hinaus.
    Captain Webber stieß seine scharfe verbogene Nase quer über den
    Tisch in meine Richtung und sagte: »Setzen Sie sich!«
    Ich setzte mich auf einen Holzstuhl mit runder Rückenlehne und entfernte mein linkes Bein vorsichtig von der scharfen Stuhlkante.
    Es war ein großes nettes Eckzimmerbüro. Degarmo saß mit überei‐
    nandergeschlagenen Beinen am Tischende, rieb sich nachdenklich
    den Fußknöchel und sah aus dem Fenster.
    Webber fuhr fort: »Sie wollten Ärger haben, und Sie haben ihn be‐
    kommen. Sie sind in einem Wohngebiet fünfundfünfzig Meilen ge‐
    fahren und haben versucht, vor dem Streifenwagen zu flüchten, der
    Sie mit Sirene und rotem Licht zum Halten aufgefordert hatte. Sie sind beleidigend geworden, als Sie angehalten wurden, und haben einen Beamten ins Gesicht geschlagen.«
    Ich sagte nichts. Webber nahm ein Streichholz von seinem Tisch, zerbrach es in der Mitte und warf die beiden Stücke über seine Schulter.
    »Oder lügen die Polizisten – wie gewöhnlich?« fragte er.
    »Ich habe ihr Protokoll nicht gesehen«, sagte ich. »Möglicherweise
    bin ich fünfundfünfzig innerhalb eines Wohngebiets oder irgendwo
    innerhalb des Stadtgebiets gefahren. Der Streifenwagen hatte vor einem Haus geparkt, das ich aufgesucht hatte. Er verfolgte mich, als
    ich wegfuhr, und zu diesem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, daß es
    ein Streifenwagen war. Es gab keinen Anlaß, mich zu verfolgen, und
    daher gefiel mir die Sache nicht. Ich fuhr etwas schneller, aber nur,
    um zu versuchen, in einen besser beleuchteten Teil der Stadt zu kommen.«
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    Degarmo bewegte seine Augen, um mir einen unfreundlich aus‐
    druckslosen Blick zuzuwerfen. Webber biß ungeduldig die Zähne
    zusammen.
    Er sagte: »Nachdem Sie wußten, daß es die Polizei ist, haben Sie mitten auf der Straße gewendet und immer noch zu flüchten versucht. Stimmt das?«
    Ich sagte: »Ja. Um das zu erklären, müßte ich ein wenig offen re‐
    den.«
    »Ich habe keine Angst vor der Offenheit«, sagte Webber. »Ich bin
    sogar ein großer Freund davon.«
    Ich sagte: »Die Polizisten, die mich aufgegriffen haben, hatten vor
    dem Haus geparkt, in dem George Talleys Frau wohnt. Sie waren schon vor mir da. George Talley war hier früher als Privatdetektiv tätig. Ich wollte ihn

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