Die tote Schwester - Kriminalroman
Fall nachgehen. Das habe ich beschlossen.«
Zbigniew lächelte ihr zu.
»Ich bin froh, dass Sie sich so entschieden haben.«
Er half Eva Weissberg, als sie aufstanden. Nach einigen Schritten ging sie aber wunderbar allein.
»Ich bin so schwach«, sagte sie. »Ich fühle mich wie eine alte Frau.«
Und dann lächelte sie. Sie hatte ein Leuchten in ihren Augen.
Zbigniew begriff, dass sie es ironisch gemeint hatte.
Auf der Park Avenue wartete bereits ein Taxi, das er vorbestellt hatte. Der schwarze Taxifahrer sprang auf, öffnete ihnen die Türen. Sie stiegen ein. Der Fahrer schaltete ungefragt die pumpende Hip-Hop-Musik aus.
»So let’s rock«, sagte er.
Er kannte das Ziel.
Die Park Avenue zog vorbei. Ein berauschendes Gefühl, alle hundert Meter ein Blick in den Central Park. New York im Frühling, nur einen Monat nach der Kälte im Februar. Alles war von einer überbordenden Lust am Leben überzogen.
Bald bog der Fahrer nach rechts in eine andere Straße ein. Zbigniew sah die nordöstliche Ecke vom Central Park; hier waren Lena und er bei ihrem ersten Besuch häufiger gewesen. Hier lag auch der Apple Store, wo sie einen Treffpunkt vereinbart hatten.
Damals hatte sie noch gelacht.
Aber er war verunsichert gewesen, wen sie getroffen hatte.
Es kam ihm nun alles so fern vor.
Die Straßen rauschten vorbei, es ging in einem Taxipulk die Fifth Avenue nach Süden. Zbigniew drückte seinen Kopf an die Scheibe. Das Ziel war bereits in Sicht. Der Fahrer bremste sanft, sprang heraus, um seiner Passagierin die Tür zu öffnen.
»Enchantée«, hauchte sie.
Jack Rosenfeldt hatte Zbigniew bei der Vorbereitung geholfen. Sie mussten nicht in der Schlange der Touristen warten, sondern wurden vor dem Eingang des Gebäudes von einem Führer der NBC , die einer der Hauptmieter war, in Empfang genommen. Über einen Hintereingang gelangten sie ins General Electric Building und konnten sofort mit einem Fahrstuhl in den 39. Stock fahren.
»Mir wird immer schwindlig in so etwas«, sagte Eva Weissberg. »Aber vielleicht liegt es diesmal auch nicht am Fahrstuhl.«
Zbigniew hielt ihre Hand, während der Fahrstuhl nach oben schoss. Diesmal war es nicht seine eigene Hand, die feucht war. Er war in der Lage, einer Person mit feuchter Hand Kraft zu spenden.
In der 39. Etage wechselten sie in einen anderen Fahrstuhl.
»So, this is your great day«, sagte der NBC -Führer, ein junger, sympathischer Mann mit Wuschelhaaren, zu Eva.
»Yes«, antwortete diese mit leuchtenden Augen und nahm wieder Zbigniews Hand, als die Auffahrt in die zweite Runde ging.
Der Fahrstuhl kam im obersten Stockwerk an. Der junge Mann begleitete sie auf die Aussichtsplattform. Sie traten in den kleinen Flachdachpavillon ein, auf dessen Dach Lena und er vor einigen Wochen gestanden hatten. Im Pavillon gab es eine Kunstinstallation, die Zbigniew bei seinem ersten Besuch kaum wahrgenommen hatte, weil er zu sehr auf die Skyline von New York fixiert gewesen war.
In der Mitte des Pavillons, der in dieser Stunde für die Öffentlichkeit gesperrt worden war, standen drei Herren neben einem Stehtisch, auf dem ein Eiskübel mit einer Magnumflasche angerichtet war. Einer der Herren, ein untersetzter Mittfünfziger in einem teuer aussehenden Anzug, erklärte, dass die Direktion des Rockefeller Center sich erlaubt habe, dem Paar Champagner zu spendieren.
»Ihnen natürlich auch«, lächelte der Direktor Zbigniew zu, »und den anderen, die kommen.«
Um sie herum begann ein seltsames Blinkkonzert aus rosa, lila und gelben Farbblöcken, die an den Wänden installiert waren.
»Es beginnt alle zwei Minuten«, sagte der Direktor, »wenn Sie wollen, kann ich es auch abstellen lassen.«
»Oh, nein, ich mag es sehr«, sagte Eva Weissberg.
Sie spielte mit ihren Fingern, und mit einem Mal begriff Zbigniew die Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrer Tochter. Ihrer Tochter, die er ihr weggenommen hatte.
Er sah auf die Uhr. Es war fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit. Jack Rosenfeld, Lena und Samuel würden pünktlich sein.
»Dann würde ich doch durchaus schon mal einen nehmen«, sagte Eva. Der Direktor lächelte und schenkte ihr ein Glas Champagner ein.
»Sie auch?«, fragte er Zbigniew.
»Nein, danke. Vielleicht später.«
Eva nahm einen Schluck.
»Rauchen darf man hier vermutlich nicht«, lächelte sie den Direktor an. Es war kein normales Lächeln, es war fast ein Flirten.
»Nein«, lächelte der Direktor zurück, »leider nicht.«
Die Lichtinstallation beendete
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