Die Tote von Buckingham Palace
wenig aufrechter hin. »Was zum Teufel wollen Sie wirklich, Narraway?«
Ohne darauf einzugehen, fragte dieser: »Was haben die Leute genau gesagt?«
»Geht es um etwas Wichtiges?« Welling zwinkerte mehrfach. »So weit ich gehört habe, hält Sorokine nicht besonders viel von dem Projekt. Jemand hat ihm den Floh ins Ohr gesetzt, dass eine Ost-West-Verbindung aus der Mitte des Kontinents zur Atlantikküste der Nord-Süd-Verbindung durch ganz Afrika vorzuziehen wäre, weil angeblich die eigentliche Zukunft des Weltreichs in der Seeherrschaft liegt und nicht in Afrika. Der Mann meint, man soll Eisenbahnen bauen, die Bauholz, Elfenbein, Gold und so weiter aus dem Binnenland zu den Häfen bringen und Afrikas Völker selbst für den Bau und die Wartung der Bahnlinie sorgen lassen. Für uns wäre es dieser Theorie nach besser, wenn wir uns darauf konzentrierten, die Waren über die Weltmeere zu transportieren,
wie wir das schon immer getan haben. Wir hätten die Welt erkundet, besiedelt und mit ihr Handel getrieben. Der afrikanische Kontinent sei nie dem Meer zugewandt gewesen, und so müsse es auch bleiben.« Indem er die Augen halb schloss, bemühte er sich, den Eindruck zu erwecken, als sehe er Narraway nicht erwartungsvoll an.
Dieser dachte über das nach, was er da gehört hatte. Anfangs erschien es ihm reaktionär, eine Abwendung vom Abenteuer, von der brillanten Ingenieursleistung, die es bedeuten würde, die Bahnverbindung vom Kap nach Kairo zu bauen. Dann begriff er, dass sich die Ablehnung nicht auf den Bau der Verbindung bezog, sondern lediglich auf deren Ausmaß. Auch eine Ost-West-Linie würde eine Herausforderung bedeuten. Der alles entscheidende Unterschied läge darin, dass sie nicht Eigentum des britischen Weltreichs wäre, sondern das der vielen Völker, durch deren Gebiet sie führen würde.
Schiffe wären also der Schlüssel, und nicht Züge.
Schließlich beherrschten die Briten die Weltmeere nicht erst seit Nelsons Tagen. Sie hatten damit nach dem Untergang der spanischen Armada zur Zeit Königin Elisabeths I. angefangen, seit Langem befuhren englische Schiffe alle Ozeane und trieben Handel in sämtlichen Häfen rund um den Erdball.
»Und Sorokine hat sich das ernsthaft angehört?«, wollte er wissen.
»So hat man es mir berichtet«, gab Welling zur Antwort. »Aber er kann dem Mann natürlich gesagt haben, er soll sich zum Teufel scheren, was weiß ich. Woher wissen Sie überhaupt von der ganzen Geschichte? Und warum ist es Ihnen wichtig? Kümmert sich der Staatsschutz jetzt schon um das Projekt der Kap-Kairo-Bahn?«
»Nein«, sagte Narraway aufrichtig. Er würde Welling später noch einmal brauchen, und wenn er ihm jetzt die Unwahrheit sagte, würde er damit dessen Vertrauen zu ihm untergraben. »Es geht um den Mann, nicht um das Vorhaben. Zumindest vermute ich das. Kennen Sie ihn persönlich?«
»Ich hatte einmal mit ihm zu tun, kenne ihn aber nicht weiter. Warum fragen Sie?«
»Ist er ein Frauenheld?«
»Er hat es mit dieser und jener gehabt. Schließlich sieht er gut aus und muss sich da nicht besonders anstrengen.« Jetzt lag in Wellings Blick deutliche Neugier. »Denken Sie etwa an die verwünschte Geschichte mit der Hure in Kapstadt? Außer Gerüchten gibt es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass er damit zu tun gehabt haben könnte. Offen gestanden glaube ich, dass in erster Linie Dunkeld die Gerüchte in die Welt gesetzt hat.«
»Warum sollte er, wenn es keine Begründung dafür gibt? Immerhin ist Sorokine mit Dunkelds Tochter verheiratet«, gab Narraway zu bedenken.
Welling seufzte. »Manchmal veranlasst Ihre verdammte Durchtriebenheit Sie dazu, dass Sie Dinge übersehen, die jemand, der mehr seinen Gefühlen und weniger seinem Verstand traut, instinktiv begreifen würde. Dunkeld ist von einem kolossalen Besitztrieb gesteuert, und seine Tochter hält er besonders fest in den Krallen. Anfangs war Sorokine in sie verschossen, aber dann hat sie ihn gelangweilt. Ein Fall von Gefühlskälte.«
»Bei ihm oder bei Minnie Dunkeld?«, fragte Narraway.
Mit breitem Lächeln gab Welling zurück: »Wahrscheinlich auf beiden Seiten, aber gemeint habe ich sie. Man kann Liebe und Hass verzeihen, aber nie wird eine Frau wie sie einem Mann verzeihen, dass sie ihn kaltlässt, ganz gleich, an wem das liegt. Bestimmt würde es Ihnen guttun, sich einmal zu verlieben, Narraway. Dann würden Sie das Kräftespiel der Natur sehr viel besser verstehen – immer vorausgesetzt, Sie überleben es.« Er
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