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Die Tote

Die Tote

Titel: Die Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion
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nicht ein.
    »Und, wie soll’s jetzt weitergehen?«, fragte sie stattdessen. »Willst du nicht mitkommen und mit ihr sprechen?«
    »Nein, erst, wenn sie wieder zur Vernunft gekommen ist. So lange bleibe ich hier. Sie kann ja kommen, wenn sie meint.«
    Charlotte verdrehte die Augen. Warum wurden die Menschen im Alter wieder kindisch?
    »Wie du meinst. Ich rede mal mit ihr.« Sie stand auf.
    »Tu das.« Wiegand wies auf ihr leeres Bierglas. »Ich übernehm das.«
    Charlotte drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Stirn und ging.
    Draußen dunkelte es bereits. Sie nahm ihr Handy und überprüfte die Anruferliste.
    Rüdiger hatte versucht, sie anzurufen, und Bremer hatte vor zehn Minuten eine Nachricht hinterlassen. »Männliche Leiche im Mittellandkanal an der Hindenburg-Schleuse. Spusi ist vor Ort. Bis gleich.«
    »Verdammt!«
    Charlotte steckte ihr Handy wieder in die Jackentasche und fing an zu laufen. Was war denn im Moment los? Andauernd fanden sie irgendwelche Leichen an oder in Hannovers Gewässern.
    Charlotte fuhr die Gollstraße entlang, die zur Hindenburg-Schleuse führte. Sie hatte Bergheim eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen und nahm an, dass er mittlerweile zu Hause war. Als sie den Mittellandkanal auf der Schleusenbrücke, auf der sich mehrere Schaulustige tummelten, überquert hatte und die schmale Straße, die direkt zum Kanalufer führte, hinabfuhr, sah sie die Beamten der Spusi und Wedel um einen vollständig bekleideten Leichnam herumstehen.
    Bremer kam ihr entgegen. »Ist wohl ertrunken. Keine Ahnung, wie lange er schon im Wasser liegt und wo er reingefallen ist. War jedenfalls nicht gut zu sehen. Ein Jugendlicher hat ihn entdeckt, weil sein Hund ins Wasser gesprungen war und er ihm wieder raushelfen musste. Er hat sofort angerufen. Ich hab seine Aussage aufgenommen.«
    »Wisst ihr schon, wer der Tote ist?«
    »Leider nein. Hat keine Brieftasche dabei.«
    »Nicht schon wieder.« Charlotte hatte langsam die Nase voll von nicht identifizierten Leichen. Vielleicht sollte man so was wie einen Ohrchip für Menschen einführen, dachte sie, oder ein Tattoo mit der Identität des Trägers. Das würde der Polizei eine Menge Arbeit ersparen.
    »Möglicherweise ist er von der Brücke gesprungen.« Bremer schaute nach oben. »Das ist ganz schön hoch.«
    Charlotte folgte seinem Blick. »Aber nicht hoch genug, um notwendigerweise dabei umzukommen. Ich würde jedenfalls einen anderen Weg wählen, wenn ich mich von dieser Welt verabschieden wollte. Einen sicheren. Und da gibt’s ja wohl andere Möglichkeiten, als sich von einer Schleusenbrücke ins Wasser zu stürzen.«
    Sie gesellte sich zu Wedel, der schwer atmend neben der Leiche stand.
    »Mann um die Mitte vierzig«, schnaufte der, »ist wahrscheinlich ertrunken und nicht viel länger als vierundzwanzig Stunden tot. Eher weniger. Keine erkennbaren Verletzungen. Mehr kann ich noch nicht sagen.«
    Dann stampfte er keuchend davon, ohne sich zu verabschieden. Charlotte blickte ihm erstaunt hinterher. Das war ja ganz was Neues. Dr.   Wedel hatte keine Lust, sie zu ärgern. Musste sie sich Sorgen machen? Nein, davon hatte sie genug.
    Sie warf einen Blick auf die Leiche. Der Mund des Mannes war geöffnet. Die Augen starrten immer noch angstgeweitet in den Himmel. Niemand hatte sie geschlossen. Die Kleidung, schwarze Stoffhose und dezent blau-weiß gestreiftes Hemd, wirkte gepflegt und nicht billig. Sogar Schuhe trug er noch.
    Wieso ertrank ein gesunder Mann in den besten Jahren, fragte sich Charlotte. Dass er nicht schwimmen konnte, war unwahrscheinlich. Er sah auch nicht wie ein Drogenabhängiger aus, der sich im Rausch einbildete, fliegen zu können. Mit der Stirnglatze und dem altmodischen Haarkranz wirkte er eher wie ein Beamter. Aber Charlotte hatte die Erfahrung gemacht, dass der äußere Schein oft trog. Sie winkte Bremer heran, der sich mit Kramer über die Urlaubsplanung stritt.
    »Hat Wedel zu dir noch irgendwas Nützliches gesagt, außer dass der Mann wahrscheinlich ertrunken ist?«, fragte sie.
    »Nee«, antwortete Bremer etwas gereizt, »ich glaube, dem ging’s nicht so gut. Sollte mal abnehmen.«
    »Sag ihm das mal«, raunte Charlotte und hockte sich zu dem Toten hinunter.
    Wovor hatte der Mann solche Angst gehabt? Vor dem Ertrinken? Sie wollte sich nicht vorstellen, wie die letzten, wachen Sekunden eines Ertrinkenden sich anfühlten. Aber dieser Blick … Charlotte wusste nicht wieso, aber er kam ihr komisch vor. Was hatte der Mann gesehen,

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