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Die Tote

Die Tote

Titel: Die Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion
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konnten zwar ziemlich genau geortet werden, aber ein paar Meter Abweichung waren schon drin.
    Sie betrat die Kneipe, fischte Rüdigers Foto aus ihrem Portemonnaie und ging dann zur Theke, hinter der ein südländisch aussehender Mann mittleren Alters auf einen Flachbildfernseher an der Seitenwand starrte. Die Kneipe war klein, düster und schmucklos. In einer Ecke saßen zwei Gestalten am Tisch, tranken Bier und folgten Charlotte mit begehrlichen Blicken. Wenn Rüdiger sich an einem Ort wie diesem längere Zeit aufhielt, dann bestimmt nicht, weil es ihm Spaß machte. Dann war er irgendeiner Sache auf der Spur.
    »Waren Sie gestern Abend so gegen neun auch hier?«, fragte sie den Mann hinter der Theke, während sie ihm ihren Ausweis und das Foto vorlegte. »Wenn ja, war dieser Mann hier?«
    Der Mann musterte zuerst Charlotte misstrauisch aus dunklen Augen, dann das Foto. »Nein, kenn isch nisch. Nie gesehen.«
    »Waren Sie gestern Abend um neun Uhr hier?«, wiederholte Charlotte ihre Frage.
    »Ja klar, bin isch immer hier«, sagte der Mann und tippte dann noch mal auf das Foto. »Hab isch nie gesehen.« Damit wandte er sich wieder dem Bildschirm zu, auf dem der obligatorische Samstagsfußball lief.
    Charlotte traute dem Kerl zwar nicht über den Weg, aber es blieb ihr nichts anders übrig, als das Feld zu räumen. Sie war in diesem Fall keine ermittelnde Beamtin, und Ostermann würde wahrscheinlich der Schlag treffen, wenn er wüsste, was sie alles trieb. Aber das war ihr egal.
    In dem Dönerimbiss herrschte reger Betrieb. Es gab drei Tische mit je vier Barhockern und eine Stehtheke, hinter der zwei junge Männer in weißen Hemden emsig bei der Arbeit waren. Einer war für den Straßenverkauf zuständig, der andere für den Innenbereich. Den nahm Charlotte zuerst ins Visier.
    Sie wartete, bis der Kunde vor ihr bedient war, zwinkerte dem Jüngling dann verschwörerisch zu und fragte ihn, ob er am gestrigen Abend auch da gewesen war.
    »Ja, war ich, war mein erster Tag. Ich studiere hier an der   MHH «, antwortete er zunächst erfreut, dann wurde er plötzlich ernst. »War irgendwas nicht in Ordnung?«
    »Nein, nein«, beruhigte ihn Charlotte eilig. »Ich möchte bloß wissen, ob dieser Mann gestern hier war.«
    Der Student guckte schräg. »Wieso wollen Sie das wissen? Und darf ich Ihnen das überhaupt sagen?« Er sah sich hilflos um. Hinter Charlotte wurde die Kundschaft unruhig.
    »Können Sie sich vielleicht mal entscheiden? Schäkern können Se woanders«, beschwerte sich ein Halbwüchsiger mit Stöpseln im Ohr.
    Charlotte drehte sich um, hielt zuerst dem Halbwüchsigen, der blöde kicherte, und dann dem Studenten an der Theke ihren Ausweis unter die Nase.
    »Polizeiliche Ermittlung. Der Mann wird vermisst. Würden Sie bitte die Frage beantworten?«
    Der Student schluckte und sah sich das Foto genauer an. Dann bekam er große Augen.
    »Ja, der war da, hat da drüben am Tisch gesessen. Hat ’nen Döner mit allem gegessen … glaub ich. Und dann nach ’ner Weile ist ’ne Frau reingekommen, und mit der ist er abgehauen.«
    Charlotte räusperte sich. »Um welche Zeit war das ungefähr?«
    Der Student zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht mehr, halb neun oder neun. Vielleicht auch später. War ziemlich hektisch hier. Ich musste mir das ja noch alles zeigen lassen.«
    »Wie sah die Frau aus?«, wollte Charlotte noch wissen. Hinter ihr hatte sich mittlerweile eine beachtliche Schlange gebildet.
    »Ziemlich geil«, sagte der Student, »jedenfalls nach dem, was ich gesehen habe. War ja so voll, und ich hatte echt keine Zeit, mir die Gäste genau anzugucken. Dunkle Haare hatte sie, und groß war sie auch, aber sonst …«
    »Und sie sind zusammen weggegangen?«
    »Ja. Kann ich jetzt weitermachen?«
    Charlotte steckte das Foto ein und machte sich davon. Missbilligendes Brummen begleitete sie hinaus.
    Den Sonntagvormittag und einen Großteil des Nachmittags verbrachte sie im Bett. Ihre Mutter schwirrte um sie herum, brachte ihr Hühnersuppe, Schokoladenkekse und Pfefferminztee, den sie nicht mochte. Aber im Moment mochte sie gar nichts. Nichts essen, nichts trinken, nichts sagen, nichts denken. Nur im Bett liegen und schlafen. Ihr Handy schaltete sie aus.
    Nur gelegentlich, wenn die Hoffnung, dass alles nur ein großes Missverständnis war, übermächtig wurde, kontrollierte sie ihre Anruferliste. Ihr Vater hatte es ein paarmal versucht. Sie hatte ihm eine   SMS   geschickt, sie habe keine Zeit für Erklärungen.

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