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Die toten Mädchen von Villette

Die toten Mädchen von Villette

Titel: Die toten Mädchen von Villette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Hedström
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sehen, sagte Thomas, der mit Kaffee hereinkam. Bist du sicher, daß du nicht auch Schokolade trinken möchtest?
    – Massier mir lieber den Nacken, sagte Martine und ließ den Morgenmantel hinuntergleiten. Ihre Nackenmuskeln waren gespannt wie Violinensaiten, obwohl sie neunStunden lang tief geschlafen hatte. Thomas setzte sich neben ihr aufs Sofa und begann ihren steifen Nacken mitsamt den Schultern zu kneten. Seine Finger waren warm und hart, und sie seufzte vor Wohlbehagen, als sie spürte, wie sich die Knoten lockerten.
    Thomas’ Hände verließen ihre Schultern und glitten auf der Vorderseite unter den Morgenmantel. Ihre Brustwarzen wurden steif, während sie gleichzeitig aus den Augenwinkeln sah, daß auch France 2 ein Interview mit Sabrina hatte. Sie empfand es als obszön, aber es brachte sie nicht dazu, Thomas’ fordernde Hände wegzuschieben.
    Das Telefon klingelte.
    – Verdammt, sagte Thomas. Er ging hin und hob ab. Martine sah ihn die Stirn runzeln. Es war kein willkommener Anruf.
    – Ja, sagte er, sie ist hier, aber ich weiß nicht …
    Martine versuchte, seine Stimme zu analysieren. Es war jemand, den er kannte, aber kein persönlicher Freund. Jemand, der mit ihr reden wollte, aber niemand aus dem Justizpalast, dann hätte sie das Gespräch direkt übernehmen müssen.
    Thomas reichte ihr den Hörer hinüber.
    – Jean-Pierre Santini aus dem Rathaus, flüsterte er.
    Martine fragte sich, was die rechte Hand des Bürgermeisters ihr zu sagen hatte, und sie hatte den Verdacht, daß es nichts war, was sie hören wollte. Sie wußte durch Thomas, daß Santini mit Vizebürgermeisterin Annalisa Paolini darum konkurrierte, während der Krankheit des Bürgermeisters der politische Stratege der Gemeinde zu sein, und sich in Sachen Kulturhauptstadt stark engagiert hatte.
    – Guten Morgen, Monsieur Santini, sagte Martine.
    – Guten Morgen, Madame, sagte Santini, ich rufe an, umzu hören, ob Sie uns in der Gemeinde ein paar Informationen geben können, wie es mit der Morduntersuchung vorangeht.
    – Nein, das kann ich leider nicht, sagte Martine.
    Es war das beste, von Anfang an deutlich zu sein. Sie wurde darin allmählich immer besser, obwohl sie Konflikte eigentlich verabscheute, dachte sie zufrieden.
    – Aha, und warum nicht? sagte Santini. Es war zu hören, daß er ein brüskes Nein nicht erwartet hatte.
    – Das ist wohl selbstverständlich, sagte Martine, wie Sie wissen, unterliegen Angelegenheiten der Voruntersuchung der Schweigepflicht, und politische Amtsträger haben kein größeres Recht auf Information als die Öffentlichkeit. Aber Sie können einen Ausdruck meiner Pressekonferenz gestern bekommen.
    – Das habe ich schon, sagte Santini, und der besagt ja nichts weiter, als daß Sie einen jungen Mann aus Villette festgenommen haben. Aber Sie müssen unsere Situation verstehen, hier im Rathaus klingelt ununterbrochen das Telefon, Journalisten wollen Interviews mit dem Bürgermeister und die Verbrechensstatistik der letzten fünfzig Jahre und was weiß ich alles, und alle scheinen von der Morduntersuchung mehr zu wissen als wir.
    – Das haben sie jedenfalls nicht von mir erfahren, sagte Martine, aber an der Untersuchung sind ja viele Polizisten beteiligt, und es kann schon passieren, daß sich einer von ihnen verplappert. Aber wenn Sie Informationen wollen, kann der Bürgermeister ja immer seinen Freund Yves Deshayes anrufen, er hat Zugang zu allen Untersuchungsergebnissen.
    – Trotzdem sind Sie es, die die Voruntersuchung leiten, sagte Santini, und wir wollen wissen, ob Sie sicher sind, daß Sie den richtigen Mann festgenommen haben.
    Martine antwortete nicht.
    – Dann sagen Sie es so, sagte Santini nach einer Weile Schweigen, Sie werden die Untersuchung jetzt wohl runterfahren, stimmt’s? Die Anzahl der Polizisten, die mitarbeiten, verringern?
    Sie dachte nach. Ihre zunehmenden Zweifel an Jean-Pierre Wastias Schuld sprachen nicht für eine Verringerung. Wenn er unschuldig war, mußten sie den richtigen Täter finden. Und sie glaubte nicht, daß es ein zufälliges Verbrechen war, sie glaubte, daß der Mörder früher am Tag Sabrina ausgewählt hatte und daß jemand gesehen haben mußte, wie er mit dem Mädchen sprach. Vielleicht war er in den Interviews, die schon gemacht worden waren, zu finden, vielleicht auf den Bildern oder Fernsehaufnahmen der Fotografen – dieser Gedanke war ihr plötzlich gekommen, als sie die Fernsehsendungen ansah.
    – Nein, sagte sie vorsichtig, ich habe nicht vor,

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