Die Totenfrau des Herzogs
daran, dass auch sie noch nicht in Sicherheit war. Noch lange nicht. Vielleicht trug die Gefahr auch noch einen ganz anderen Namen.
Jetzt in der Dämmerung waren es nur noch Schatten, die vorbeihuschten - Schatten von Frauen, die einmal stolz und unabhängig gewesen waren, die ihr eigenes, erfülltes Leben geführt hatten, geliebt worden waren. Was blieb, wenn all das wegfiel? Ein Körper und die Arbeitskraft. Beides flüchtige Güter, die schnell zum Gespött wurden …
»Hier sind meine Männer.« Örns Stimme klang belegt und ein wenig heiser, als er sich bückte und eine grobe Tür aufstieß. Die drangvolle Enge des Hauses sprang sie an, der Gestank nahm ihr die Luft, und sie zögerte, über die Schwelle zu treten. Örn fasste sie einfach an der Hand und zog sie ins Innere. In der Raummitte brannte ein Feuer, an den Wänden hingen zwei Fackeln, trotzdem war kaum zu erkennen, wie viele Menschen das Haus beherbergte. Man roch sie nur, und man hörte sie.
Ein Stöhnen erfüllte den Raum. Sieben Lagerstätten zeichneten sich entlang der Wände ab, darauf wälzten sich Männer jeden Alters. Manche jammerten, einer weinte, andere lagen still und ertrugen einen rätselhaften Schmerz. Es roch nach Eiter und totem Fleisch. Einer hielt sich den Kopf. Er hockte auf der Kante seines Lagers, wiegte sich
hin und her und flüsterte: »Aufhören. Aufhören. Aufhören …« Sein Nachbar spuckte Reste von Erbrochenem in einen Eimer und fluchte Zoten hinterher, dann kippte er hintenüber und blieb reglos liegen, während sein Hintermann jammerte, ihm würden die Beine abfallen und er sei schuld, denn man könne sie nicht mehr annähen …
»Du bist schuld!«
»Du bist selbst schuld! Du stinkst, dass man kotzen muss!«
»Aufhören, aufhören - aufhören …«
»Mein Bein fällt ab, warum hilft denn niemand …«
»Sind sie besessen?«, fragte Ima fassungslos und blieb wie angewurzelt stehen. Nábitr hatte sie an der Nase herumgeführt. Das hier war ein Haus voller Gottverlassener, gegen deren Schicksal sie machtlos sein würde! Was hatte er sich dabei gedacht? Sie drehte sich um und stieß gegen eine Wand - breitbeinig stand er vor ihr, versperrte ihr den Ausgang. Und dann griff er nach ihren Armen.
»Was habt Ihr vor mit mir?«, fragte sie atemlos. »Was soll das werden - warum tötet Ihr mich nicht gleich? Tötet mich, aber sperrt mich nicht zu diesen Besessenen …«
»Sie sind nicht besessen. Sie faulen dahin, Ima. Bei lebendigem Leib«, sagte Örn leise, ohne auf sie einzugehen. »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ihnen faulen die Hände ab, und die Füße, und sie sprechen von Feuer, das an ihnen hochlodert und sie bei lebendigem Leib verzehrt.« Seine Stimme klang zutiefst beunruhigt. »Noch ist keiner von ihnen gestorben. Sie leiden nur. Aber was ist ein Mann ohne Hand, Ima? Was ist ein Mann, der weint, weil ihm der Kopf vor Schmerzen zu platzen droht, was ist einer, der Geister sieht, wo keine sind? Wir Nordleute sind es nicht gewohnt, im Bett zu siechen. Wir ziehen in den Tod - wir warten nicht auf ihn. Ihr wisst das, Ima. Ihr seid eine von uns.« Er beugte sich zu ihr herab. »Der Tod ist auch einer von uns,
wir fürchten ihn nicht. Was aber mache ich mit Kriegern, die ihre Waffen nicht mehr anfassen können? Die heulend wie die Weiber herumliegen und kaum laufen können, obwohl keiner sie mit einer Waffe verletzt hat? Was sage ich diesen Männern? Wartet auf euren Tod, irgendwann holt er euch schon?«
Seine Betroffenheit griff auf sie über - hier lagen nicht nur Krieger, hier lagen Getreue und Freunde, das spürte sie.
»Wir haben diesen Krieg gemeinsam überstanden.« Örn ließ sie los und lehnte sich müde gegen den Türrahmen, sein Gesicht jedoch zuckte ohne Unterlass. »Ein Teil meiner Männer ist in einer Kirche verbrannt, müsst Ihr wissen. Sie hatten dort Zuflucht gesucht. Der Guiscard hatte Feuer an diese Kirche gelegt und keinen entkommen lassen. Diese Männer hier … die brennen in einem anderen Feuer, ungleich grausamer. Soll ich alle meine Männer an dieses Feuer verlieren? Ist das etwa mein Schicksal? Könnt Ihr helfen?« Seine Stimme klang flehend. Sie musste sich zusammenreißen, um gegen das Mitgefühl anzukämpfen, welches sie zu überwältigen drohte. Das hier war der Feind, der ebenfalls unzählige Leben auf dem Gewissen hatte und beim Töten alles andere als zimperlich war. Mit Sicherheit hatte er mehr Leben auf dem Gewissen als mancher apulische Krieger und stand dem Guiscard an
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