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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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zusammen, und dann kommt sie auch schon bald wieder.«
    »Ich will sie aber jetzt hier haben.«
    »Mama braucht ein bisschen Zeit für sich. Dazu hat jeder Mensch das Recht, auch als Mama.«
    »Sie hat uns nicht mehr lieb.«
    »Doch«, sagte Bernard durch die geschlossene Tür. »Sie hat dich sehr lieb.«
    »Und dich?«
    »Mich bestimmt auch.«
    »Das stimmt ja gar nicht. Es ist deine Schuld, dass sie weg ist. Du interessierst dich ja mehr für das blöde Krankenhaus als für uns!«, rief Laura aufgebracht.
    »Nein, Schatz, Mama hat sich das so gewünscht. Sie ist sonst nicht glücklich.«
    »Wegen uns?«
    »Nein, weil sie hier nicht tun kann, was sie gerne tun möchte.«
    Laura saß mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt. Sie hatte die Knie bis unters Kinn gezogen und langte mit der linken Hand nach mir. Sie drückte mich fest an sich. Tränen liefen still über ihr Gesicht, verschmierten ihre schwarze Schminke und verschwanden in meinem Fell.
    Es war lange her, dass ich Kindertränen aufgefangen hatte. Sehr lange. Sie tat mir leid.
    »Laura?«, rief Bernard. »Mach doch mal bitte die Tür auf. Laura?«
    Sie drehte sich um und schloss auf. Dann ließ sie mich fallen und warf sich auf ihr Bett.
    Bernard kam herein, hob mich auf und setzte sich zu Laura. Er hielt mich in der Hand, seine Finger umschlossen meine Schulter und ich spürte, dass er auch sich selbst Mut zuredete, als er sagte:
    »Wir beide müssen jetzt fest zusammenhalten, ja?«
    Er strich Laura über den Kopf, und sie nickte stumm.
    Einmal in der Woche, sonntags, telefonierten sie mit Claire, gelegentlich kam ein Brief ins Haus geflattert, und alle gaben sich der Illusion hin, dass einzig Claires Fürsorge für afrikanische Kinder der Grund für ihre Abwesenheit sei.
    Die Märzsonne schien blass durch das Wohnzimmerfenster herein. Es hatte getaut, und von den Bäumen tropfte das Wasser. Olten lag sonntagsruhig da, von irgendwo meldeten Kirchenglocken, dass es Zeit war, zum Gottesdienst zu gehen, doch Bernard und Laura waren keine Kirchgänger, sie waren Anruferwarter.
    Laura rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her. Bernard schaute auf die Uhr.
    »Warum ruft sie denn nicht an? Es ist doch schon nach elf«, sagte sie.
    »Sie wird sich schon melden. Vielleicht klappt was mit der Leitung nicht. Mach doch den Fernseher an, dann vergeht die Zeit schneller.«
    Im Fernsehen saßen fünf ernst aussehende Männer um einen runden Tisch und besprachen politische Themen, wobei sie sich fürchterlich in die Haare gerieten. Laura schaltete um. Im anderen Programm wurde ein Schwarz-Weiß-Film gezeigt. Wir schauten hin. Wir hatten ja sonst nichts zu tun.
    »Sie heißen?«, fragte ein alter Herr mit Schnauzbart und runder Brille.
    »Johann Pfeiffer«, antwortete ein kleiner Mann, dessen Stimme mich an Friedrich erinnerte.
    Der streng blickende Lehrer zückte ein Büchlein. »Mit einem f oder mit zwei?«, fragte er.
    »Mit drei, Herr Professor.«
    »Mit drei f?« Der Professor sah den Schüler skeptisch an.
    »Eins vor dem ei, zwei hinter dem ei. Bitte.« Der kleine Mann grinste und setzte sich.
    »Sie sind etwas albern«, erwiderte der Professor.
    Laura fing an zu lachen. Sie sah ihren Vater an und kicherte.
    »Eins vor dem ei, zwei hinter dem ei«, wiederholte sie mit verstellter Stimme.
    »Sie sind etwas albern«, sagte Bernard und versuchte streng zu gucken, was ihm jedoch trefflich misslang.
    Es war schön, die beiden zusammen lachen zu sehen. Es kam selten vor. Überhaupt wurde in diesem Haus viel zu selten gelacht. Fast schienen sie für einen Moment vergessen zu haben, dass sie noch immer auf Claires Anruf warteten.
    »Mit der Schule ist es wie mit der Medizin«, sagte jetzt der Filmprofessor und schritt ans Fenster. »Sie muss bitter schmecken. Sonst wirkt sie nicht.«
    »Da hast du es, du faules Mädchen«, rief Bernard und kitzelte sie. Laura quietschte vor Lachen und strampelte mit den Beinen, sie rollten auf dem Sofa herum, bis Bernards Haar wild in alle Richtungen stand und Laura nur noch japste. Irgendwann saßen sie völlig außer Atem nebeneinander, Bernards Arm lag um Lauras Schultern und ich sah, wie glücklich er war, wie sehr er diesen Moment der Nähe genoss. Unvermittelt fragte Laura:
    »Warum ruft sie nicht an?«
    Ich habe selten einen Augenblick erlebt, in dem die Stimmung so abrupt kippte wie in dieser Sekunde. Alle Fröhlichkeit, alle Leichtigkeit verpuffte wie in einer Explosion. Bernard sah seine Tochter an.
    »Warten wir noch ein bisschen.

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