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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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gestellt hatte.
    »Nun, ich denke, er wird seinen Platz hier im Salon finden. Dort verpasst er dann auch nichts.«
    Mit dem Salon konnte ich mich bestens anfreunden. Es war ein großes Zimmer mit vielen Fenstern. Die Decken waren hoch, viel höher als in Alices Stadthaus in Bath, und es war gut geheizt. Es gab einen offenen Kamin, in dem ein freundliches Feuer prasselte und Wärme verströmte, davor stand ein bestickter Ofenschirm, der verhindern sollte, dass die Funken des verbrennenden Geschenkpapiers auf den großen Aubussonteppich flogen. Eine Ecke des Raumes zierte ein riesiger Weihnachtsbaum. Er reichte fast bis an die Decke, hatte ausladende Arme und war schwer behängt mit roten polierten Äpfeln, Glaskugeln und allerlei anderem glitzernden Schmuck. Am meisten aber faszinierten mich die unzähligen Kerzen. Es schimmerte und leuchtete, und ich meinte, noch nie etwas so Schönes gesehen zu haben. Erst jetzt, als ich am Tisch saß und nicht mehr akut um mein Leben fürchten musste, konnte ich ihn in seiner ganzen Pracht bewundern.
    »Wir müssen ein Bett für ihn besorgen«, fuhr Lili fort, die sich ernstlich Sorgen um mein Wohlergehen machte. »Ich kann ihm eins von den Puppen abgeben.«
    »Das ist eine hervorragende Idee, mein Schatz«, sagte Emily und strich ihrer Tochter über den Kopf, die jetzt an den Tisch gekommen war und mich von ihrem Platz aus teilnahmsvoll ansah.
    Es war deutlich erkennbar, dass es Leo ganz und gar nicht passte, kein Puppenbett zur Verfügung stellen zu können. Plötzlich wollten alle nur mein Bestes. Was für eine Veränderung!
    »Er kann den Piratenanzug von Bad John haben«, bot er an. »Dann ist er wenigstens nicht so nackt.«
    Was heißt hier nackt? Ich habe immerhin ein echtes braunes Fell.
    »Da wird er sich sicher freuen«, sagte Emily. »Obwohl er ja nicht ganz nackt ist. Er hat ja immerhin –«
    »Eine Schleife um den Hals«, vollendete Victor den Satz seiner Frau und lächelte sie an. Sie erwiderte seinen Blick, tiefgründig und mit einer kleinen Andeutung von Schalk, und ich merkte eindeutig, dass diese Art sich anzusehen etwas mit der Liebe zu tun haben musste, von der Alice gesprochen hatte. Stilles Einverständnis. Ruhige Gewissheit.
    Die Kinder rannten davon. Lili verbrachte eine halbe Stunde damit, das richtige Bettchen für mich zu suchen, mit dem traurigen Erfolg, dass ich nicht hineinpasste, als es endlich gefunden war. Auch Bad Johns Piratenanzug spannte über den Schultern so sehr, dass er sich vorn nicht schließen ließ, und der Hut hielt nicht auf meinem Kopf.
    »Wir kümmern uns morgen darum, Kinder. Jetzt ist es erst mal Zeit fürs Bett«, sagte Emily.
    »Diese eine Nacht wird unser kleiner Freund sicher auch mit dem Sofa vorlieb nehmen können«, fügte Victor hinzu und ließ seine beiden Sprösslinge zum Gutenachtkuss an seinen Sessel antreten, wo er saß und mit Gemütsruhe ein Cognacglas schwenkte.
    »So, und nun träumt etwas Schönes. Frohe Weihnachten, ihr zwei.«
    Als dann jeder unter Quieken einen Klaps auf den Po bekommen hatte, galoppierten sie davon.
    Der Rest des Weihnachtsabends verlief ruhiger. Cathy fragte, ob die Herrschaften noch etwas wünschten, doch Emily und Victor lehnten ab und erlaubten ihr, zu Bett zu gehen. Cathy sagte Gute Nacht. Ich sah ihr mit einem wehmütigen Blick nach. Doch mich erwartete ein anderer Platz.
    Auch Emily zog sich recht bald zurück, ihre Kopfschmerzen waren offenbar nicht besser geworden. Die Arme, sie hatte es auch wirklich nicht immer leicht. Die Exzentrik ihres Mannes stürzte sie zuweilen in Sorge um ihr gesellschaftliches Ansehen. Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, manchmal wäre es ihr lieber gewesen, etwas weniger aufzufallen. Sie hätte gerne ein normaleres Leben geführt, wie alle ihre Freundinnen der besseren Gesellschaft. Doch Emily war schwer zu durchschauen. Es dauerte lange, bis ich lernte, sie besser einzuschätzen. Ihre Erscheinung war Respekt einflößend: Sie war schlank und groß und hielt sich sehr gerade. Ihr Haar war zu einer perfekten Frisur auf dem Kopf aufgetürmt, die irgendwie Ähnlichkeit mit einem Vogelnest hatte. Noch heute denke ich, dass es gut zu ihr gepasst hätte, wenn sie Lehrerin gewesen wäre, denn ihr Wesen vereinte Güte und Strenge. Sie war eher zurückhaltend, doch nicht scheu. Und was mir anfangs wie Unfreundlichkeit erschien, stellte sich bald als ihre eigene Art der Bestimmtheit heraus, die durchaus nicht schlecht gemeint war. Die liebe Emily, sie hatte

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