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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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hatten.
    Doch mir leuchtete noch immer nicht ein, was diese Deutschen eigentlich von uns wollten. Was hatten wir, Nicolas, Nadine, Robert und ich, Madame Leroc und ihr Sohn und auch Maurice Mouton ihnen denn getan, dass sie meinten, auf uns schießen zu müssen?
    Tagsüber herrschte trügerische Ruhe, und manchmal war es fast, als gäbe es diesen Krieg nicht. Zu gerne gab ich mich dann dem Spiel mit Robert hin, vergaß für eine Weile ebenso wie er, dass jederzeit ein Unwetter losbrechen konnte, schlimmer als wir es uns vorstellten.
    Nadine verbot uns, weiter von zu Hause fortzugehen als bis zu Maurice.
    »Ich muss wissen, wo du bist«, erklärte sie Robert. »Du musst mir immer sagen, wo du hingehst, hörst du.«
    Doch nachdem es zwei Nächte lang ruhig gewesen war, vergaß Robert die Ermahnungen seiner Mutter. Es zog ihn mehr denn je in Madame Denis’ Garten.
    Wir stahlen uns also über bewährte Geheimpfade davon. Doch an diesem Tag war etwas anders. Robert war anders. Er war nicht bei der Sache.
    Das Spiel kam nur halbherzig in Gang, ich war allein damit beschäftigt, Prinzessin Zazie zu verteidigen und uns die Rächer vom Leib zu halten.
    Robert schlug abwesend mit einem Stecken die hohen Brennnesseln ab, die um uns herum wucherten, und kickte lustlos kleine Steinchen vor sich her.
    Was ist denn nun mit Prinzessin Zazie? Du willst sie doch wohl nicht allein lassen?
    Scheinbar doch. Aber ich verstand ihn. Dieses Spiel machte keinen Spaß mehr, denn ganz unmerklich hatte unsere Phantasiewelt immer größere Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit bekommen. Die Rächer hatten plötzlich die Züge der Deutschen angenommen, Gefangene wurden nicht mehr zu Bäumen verzaubert, sondern gequält, bis sie ihre Geheimnisse preisgaben.
    Mir gefiel das nicht. Ich mochte nicht, dass Robert in herrischem Ton Befehle gab. Es missfiel mir, dass ich derjenige sein sollte, der sie ausführte. Es war nicht meine Art, Leute zu quälen.
    Robert, was ist denn los? Wie lange soll ich denn den Gefangenen noch mit dem Kopf unter Wasser halten?
    Doch Robert hatte schon vergessen, dass wir einen Gefangenen hatten. Etwas anderes hatte sein Interesse geweckt. Etwas, das nichts mit Samir-Unka und Zazie zu tun hatte und ausnahmsweise auch nicht mit den Deutschen.
    »Doudou«, sagte er, »du bleibst hier und bewachst das Tor. Wenn jemand kommt, pfeifst du!«
    Mit diesen Worten setzte er mich auf einen großen Stein neben dem Gartentor.
    Ich kann gar nicht pfeifen, Witzbold!
    Ungeachtet dessen, blieb ich auf dem Stein zurück und sah, wie Robert sich dem hohen Bretterzaun näherte, der Madame Denis’ Garten vom Hinterhof des Mädchenheims trennte.
    Was hatte er denn nun vor?
    An den Zaun hatten wir uns noch nie gewagt, denn das Heim wie auch die Mädchen hatten einen zweifelhaften Ruf, das wusste Robert sehr genau. Madame Leroc behielt nämlich auch ihre Ansichten zu dieser Einrichtung nicht für sich.
    Manchmal, wenn wir im Garten spielten, war von der anderen Seite des Zaunes helles Gelächter zu uns herübergedrungen, doch wir hatten nie eines der Mädchen gesehen. Sie lebten in einer anderen Welt als wir, einer Welt, von der wir nichts ahnten.
    Robert drehte sich noch einmal zu mir um, fast, als wolle er sich von mir die Bestätigung holen, dass ich sein Vorhaben unterstützte. Doch ich kannte sein Vorhaben nicht. Zudem hatte ich keine Lust, allein hier zu hocken, während er offenbar ein neues Abenteuer in Angriff nahm. Verwundert sah ich, wie er einen spitzen Stein aufhob und begann, in eines der morschen Holzbretter ein Loch zu bohren. Man mag mich naiv nennen, aber ich hatte keine Ahnung, was er plante.
    Nach ein paar Minuten war das Loch so groß, dass sein freches Jungenauge hindurchspähen konnte. Mir verschlug es glatt die Sprache. Nicht nur, dass wir uns unerlaubt viel zu weit von zu Hause entfernt hatten, jetzt spionierte er auch noch die gefallenen Mädchen aus. Mit Robert war man wirklich nie vor Überraschungen sicher.
    Er kniete sich vor das Guckloch und versuchte zu erspähen, was auf der anderen Seite vor sich ging. Ich weiß nicht, wie lange er dort so hockte, eine halbe Stunde vielleicht, möglicherweise auch länger. Dann erhob er sich plötzlich, sammelte mich im Vorbeigehen auf und wir verließen den Garten, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an Zazie zu verschwenden.
    Abends, als wir im Bett lagen, schien diese Episode wie nie geschehen. Wie immer vor dem Einschlafen schmiedeten wir Pläne für den nächsten

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