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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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besorgt. Ich hörte ihre Stimmen durch die angelehnte Schlafzimmertür, während Robert sich neben mir unruhig hin und her wälzte. Ich spitzte die Ohren.
    »Ich halte es wirklich für das Beste«, sagte Nadine eindringlich. »Ich habe Angst.«
    »Aber was soll denn aus dem Laden werden?«, wandte Nicolas ein. »Alles, wofür wir so hart gearbeitet haben, sollen wir einfach den Deutschen überlassen?«
    »Was haben wir denn von dem Laden, wenn unser Leben auf dem Spiel steht?«
    »Steht unser Leben nicht immer auf dem Spiel? Wir könnten genauso gut von einem dieser neumodischen Automobile überfahren werden.«
    »Bitte, Nicolas!« Nadines Stimme hatte einen flehenden Ton. »Du weißt so gut wie ich, dass sie uns alles nehmen werden. Du hast doch gehört, wie die Deutschen hausen!«
    »Vielleicht gelingt es unseren Jungs ja noch, sie aufzuhalten«, wandte Nicolas halbherzig ein.
    »Die armen Männer an der Front. Was sage ich, Männer? Es sind ja noch Kinder. Kanonenfutter, das sind sie. Wie sollen sie das schaffen?«
    »1914 hat es auch geklappt.«
    »Aber dies ist ein neuer Krieg.«
    »Und wo sollen wir denn deiner Ansicht nach hin? Unser Zuhause ist doch hier!«
    »Wir fahren zu meiner Tante ins Burgund. Ich schreibe ihr gleich morgen eine Depesche. Sie wird uns nicht abweisen.«
    »Deine Tante ist ein Drachen.«
    »Aber sie hat wenigstens ein sicheres Haus. Und für Robert wäre es auch das Beste.«
    »Ich will das nicht«, sagte Nicolas trotzig. »Ich will diesen ganzen Krieg nicht.«
    »Niemand will diesen Krieg. Aber wir können es doch nicht ändern.«
    »Nein, ändern können wir es wohl nicht. Aber wir können Widerstand leisten.«
    »Mach mir keine Angst. Du warst noch nie ein guter Kämpfer.«
    »Die Résistance braucht jeden Mann.«
    »Aber nicht meinen Mann, das erlaube ich nicht.«
    Ich verfolgte das Gespräch mit angehaltenem Atem. Nadine wollte, dass wir Paris verließen. Sie war vernünftig, die einzige Vernünftige in einer glücklichen Familie von Träumern und Idealisten.
    Bitte, Nicolas, du musst auf deine Frau hören! Wir müssen hier weg.
    »Tante Margot ist gar nicht so schlimm. Und sie kann unsere Hilfe auf dem Hof sicher gut gebrauchen«, fuhr Nadine unbeirrt fort.
    »Sie hat keine Ahnung von Gemüse.«
    »Umso mehr braucht sie unsere Unterstützung. Sie wird uns dankbar sein. Und wir wären in Sicherheit.«
    Es wurde still. Ich konnte vor mir sehen, wie sie dort saßen und sich grämten. Sicher hatte Nicolas den Kopf in die großen Hände gestützt. Sicher fuhr sich Nadine nervös über die Schläfen. Sie taten mir leid. Und ich fragte mich, was dieser Krieg noch für Kummer über uns bringen würde. Schließlich sagte er:
    »Du hast recht. Es hat keinen Sinn, den Kopf noch länger in den Sand zu stecken. Wenn selbst Maurice die Stadt verlässt, sollten wir nicht mehr zögern.«
    »Ich bin froh, dass du so denkst«, sagte sie leise. »Ich liebe dich. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn dir etwas geschähe.«
    »Ich liebe dich auch, Princesse. Morgen kümmern wir uns um eine Fahrgelegenheit. Und du schreibst dem Drachen im Burgund. Wir werden seine Höhle stürmen …«
    »Ja, das werden wir. Drachen kann man besiegen, du wirst sehen.«
    Als ihre Stimmen verklungen waren und die rastlose Ruhe einer Kriegsnacht sich breitmachte, lag ich noch lange wach.
    Der kleine Robert drehte sich und murmelte unverständlich. Ich konnte nichts tun, außer mich weich in seinen Arm zu kuscheln, wenn er nach mir griff.
    In den nächsten Tagen begann Nadine bedacht und so ruhig wie möglich Vorbereitungen für die Abreise zu treffen, doch die Anspannung stieg mit jeder Minute, die verstrich. Mehrmals täglich schaltete sie unser Rundfunkgerät ein, um die neuesten Meldungen von der Front zu hören. Es war nicht mehr zu leugnen: Die Franzosen würden ihre Hauptstadt nicht mehr lange verteidigen können. Die Deutschen kamen mit Macht heran.
    Ich fragte mich, wie alle anderen auch, was passieren würde, wenn sie über die Seine kämen. Wer waren diese Deutschen? Und was würden sie tun?
    Der Gedanke, dass wir nicht mehr hier sein würden, um diese Frage genauer zu klären, beruhigte mich. Wenn man den Reden der Leute Glauben schenken durfte, konnte ein Drachen unmöglich schlimmer sein als die fremden Soldaten. Robert und ich hatten ja schon einige Drachen besiegt.
    Nicolas bereitete die Schließung des Ladens vor. Es war ein Trauerspiel. Unglücklich saß ich auf der Theke und sah zu, wie er Regale

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