Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
an den Hochhäusern zeigten Ausschnitte aus TV-Shows, Werbespots, Reklame. Der Verkehr quälte sich hupend und langsam durch den Schnee, der zu einer dichten Decke auf dem Asphalt gepresst worden war. Ein Rockstar wurde auf MTV interviewt, und die Menschen standen in kleinen Trauben auf der Straße, um das Ereignis auf einer Videowand zu verfolgen. Die neuesten Nachrichten liefen auf dem elektronischen Ticker von Morgan Stanley, vor dem hektische, fein gekleidete Geschäftsleute stehen blieben und verdrießlich oder fröhlich aussahen. Vor dem TKTS -Stand standen die Passanten Schlange, um sich billigere Tickets für die abendlichen Broadway-Shows zu sichern. Auf der anderen Straßenseite waren Theater und Geschäfte aufgereiht: Toys »R« Us , ein Virgin Megastore , Planet Hollywood .
    Wir schritten an dem alten Paramount Theater vorbei. »Damals, als ich in die Stadt kam«, erklärte ich Scarlet, »da gab es hier noch kein Hard Rock Café und auch nicht diesen geschmacklosen Souvenirladen. Damals war das Paramount ein wunderschönes Theater, in dem die neuesten Hollywoodstreifen liefen.«
    »Sie mochte Cary Grant.«
    »Und Lionel Barrymore. Ah, erwähnte ich Bela Lugosi?«
    Du mochtest auch Claude Rains , bemerkte Buster.
    »Der war klein.«
    Du mochtest ihn trotzdem.
    Was sollte man dazu sagen?!
    Wir tauchten in die Menschenströme ein, die wie ein Gewässer
über den festgestapften Schnee der Gehwege strömten.
    »Dort ist es«, sagte Jake, der immer schneller ging und mit einem Mal die Führung übernommen hatte. » Sardi’s .«
    Da gibt es leckeres Essen , meinte Buster.
    Scarlet folgte seinem Fingerzeig. Sie sah eine Leuchtreklame, geschwungene Buchstaben in einem flackernden Lila, die sich vertikal an der Wand eines hohen Hauses festkrallten. Warmes, schummriges Licht war hinter den spiegelnden Fenstern zu vermuten.
    »Hinein, hinein«, rief Jake und machte den Anfang.
    Wir betraten das Lokal.
    Dunkles Holz, ganz warm und redselig, tauchte den gro ßen Raum in weiches Licht. Die Tische mit den weißen Tischdecken und der Blumendekoration wirkten auf Scarlet altmodisch und beruhigend. Sie spürte, dass es echte Pflanzen waren, kein Plastik. Die Wände waren mit wüsten Karikaturen von einstigen und heutigen Broadwaystars verziert.
    »Mr. Vincent Sardi und seine Frau Jennie eröffneten das Restaurant damals anno 1920«, erklärte Jake. »Sie wollten etwas völlig Neues schaffen. Etwas, was besonders gut in diese Gegend passt.«
    »Das Essen ist sehr britisch«, warnte ich Scarlet vor.
    »Kein Problem.«
    Wir ließen uns an einem der Tische am Fenster nieder. Keiner der anderen Gäste störte sich daran, dass ein Streifenschwanzmungo-Mandrake auf meiner Schulter saß und flink an meinem Ärmel auf die Tischplatte kletterte.
    Der Ober, der Lon Chaney Jr. zum Verwechseln ähnlich sah, eilte zu uns, um die Bestellung aufzunehmen.

    Scarlet nahm den schon klassisch zu nennenden Sardi’s Salad und stellte zu ihrer Verwunderung fest: »Ich esse kein Fleisch.« Es war einer dieser Momente, in denen ihr ein neuer Splitter Vergangenheit zufiel. »Ich glaube, ich habe schon immer vegetarisch gelebt.«
    »Oh, da sehen Sie, die Erinnerungen kehren ja doch zurück, wenn auch nur langsam.« Ich selbst bestellte das Brioche French Toast mit Vanille, Zitrone und Zimt, Jake orderte einen gegrillten Angus Burger . Und für Buster ließen wir eine Zwiebelsuppe mit Fisch und Gratin kommen, die er genüsslich aus einer kleinen Schale schlürfte.
    »Warum bin ich hier?«
    Ich schaute von meinem Essen auf. »Sie waren hungrig.«
    »Nein, das meinte ich nicht.«
    »Deswegen sind wir aber hier.«
    Scarlet rollte mit den Augen. »Ich habe ganz woanders gelebt. Und doch kommt mir New York so vertraut vor.«
    »Es ist, wie ich es Ihnen gesagt habe. Sie haben in der uralten Metropole der Stadt gelebt. Das erklärt einiges, aber bei Weitem nicht alles.«
    »Warum bin ich hierher zurückgekehrt?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Jedenfalls haben Sie gestern Master Van Winkle einen Besuch abgestattet, was sehr ungewöhnlich ist. Und Sie hatten einen Freund, der Sie begleitet hat. Einen indianischen Freund.«
    Scarlet legte das Besteck beiseite und betrachtete erneut ihre Hände, an denen vor wenigen Stunden noch schwarzes Blut geklebt hatte. Konnte es sein, dass es das Blut ihres Freundes gewesen war? Sie empfand keinerlei Trauer. Sie wusste ja nicht einmal, mit welchem Gesicht sie Thoreaus Aussage verbinden sollte.

    »Warum habe

Weitere Kostenlose Bücher