Die Vampir-Brüder
entgegengekommen, das musste man sagen.
Der Weg mündete auf einen freien Platz. Hier standen einige Autos und wirkten wie vergessene Fossilien aus einer anderen Zeit.
Unter den Füßen der Frauen knirschte der Sand. Das Rauschen der Wellen war hinter den Dünen zurückgeblieben.
Es war nichts zu hören, das ihr Misstrauen erregt hätte. Im Ort war es still. Alles schien sich voller Angst zusammengezogen zu haben, und über den Dächern schwebte der Schatten des Bösen, nur aufgerissen vom Licht des Mondes.
Am Rand des Parkplatzes blieb Sheila stehen. Von hier aus fiel der Blick in die kleinen Gassen zwischen den Häusern, wo sich auch nichts bewegte. Keine Katze und auch kein Hund waren hier draußen.
»Sie sind bestimmt schon in den Häusern«, flüsterte Evelyn.
»Das denke ich auch.«
»Sollen wir nachschauen?«
Sheila verzog den Mund. »Aber so, dass sie uns nicht sehen. Ich bin immer noch scharf darauf, eine Waffe zu finden, mit der wir sie erledigen können.«
»Hier gibt es keine geweihten Silberkugeln.«
»Das befürchte ich auch. Ich wünschte mir wirklich, Mareks Eichenpflock zu haben. Wenn er in das Herz eines Vampirs dringt, ist es mit ihm auch vorbei.«
»Was du alles weißt, Sheila.«
»Wenn man so lebt wie ich, lernt man das im Laufe der Zeit zwangsläufig.«
»Das wäre nichts für mich.«
»Trotzdem müssen wir durch.«
Sheila hatte sich so gut wie möglich umgeschaut, aber von den Blutsaugern nichts gesehen. Einer Idee folgend ging sie auf das nächste Haus zu, dessen Fenster erleuchtet waren. Sie durchquerte einen ungepflegt wirkenden Vorgarten und ließ Evelyn zurück. Vor der Seite her schlich sie an das erste Fenster heran, das sich wie eine beleuchtete Luke in der Hauswand abhob.
Keine Gardine verwehrte ihr den freien Einblick. Sie schaute in ein Wohnzimmer, in dem sich Menschen aufhielten. Ein Mann und zwei Frauen.
Die Frauen waren unterschiedlich alt. Sie saßen wie Puppen nebeneinander auf der Couch. Dem Aussehen nach hätten es Mutter und Tochter sein können. Der Mann hatte sich einen Sessel als Sitzplatz ausgesucht. Er schaute nicht zu den Frauen hin. Er bewegte sich überhaupt nicht und starrte ins Leere.
Die drei machten den Eindruck, als würden sie auf etwas Bestimmtes warten, und Sheila konnte sich schon vorstellen, was es war.
So wie sie würden sich alle Bewohner von Old Harbour verhalten. Es war einfach schlimm, dass sie nicht mehr die Kraft fanden, sich zu wehren. Da musste etwas getan werden, bevor alle Menschen in den dunklen Tunnel fielen, aus dem es kein Zurück gab.
Sheila wollte auch in die anderen Häuser blicken, als sie zusammenschrak.
Die Tür hatte sich bewegt. Von der anderen Seite. Jemand war bereit, das Zimmer zu betreten.
Sheila stellte sich vor, was passieren würde. Es lag alles auf der Hand. Die Blutsauger gingen ihren Weg, und das war auch hier nicht anders.
Die Tür schwang nach innen.
Sheila hörte keinen Laut, aber sie sah, dass sich eine schreckliche Gestalt über die Schwelle schob.
Es war einer der beiden Vampir-Brüder!
***
Für Sheila Conolly schrumpfte die Welt auf den Ausschnitt zusammen, der sich ihren Blicken bot. Wie gebannt schaute sie zu.
Im Zimmer brannte eine Stehlampe mit Pergamentschirm. Derartige Leuchten waren schon fast museumsreif. Der gelblich-braune Schirm bestand aus einem so dicken Material, dass er nicht abgedeckt werden musste. Er saugte genug Licht in sich ein.
Sheila sah die Gestalt des Blutsaugers zum ersten Mal im Licht. Jetzt fiel ihr auch die Kleidung auf, die mehr aus Lumpen bestand. Sie umhingen den Körper mit der grauen Haut. Es war nur ein Hemd als Oberteil, an der Brust eingerissen. So kam die bleiche Brust zum Vorschein, auf der sich rostrote Blutflecken abzeichneten.
Sheila konzentrierte sich auf das Gesicht. Nein, das war kein Gesicht. Sie erlebte eine abstoßende und widerliche Fratze, die an einigen Stellen wie geschnitzt wirkte. Sein Maul hielt der Blutsauger offen und zeigte sein Gebiss mit den beiden widerlichen, spitzen Zähnen. Er ging völlig normal durch das Zimmer. Die drei Menschen hatten ihn längst wahrgenommen, denn sie schauten ja in seine Richtung. Aber sie taten nichts, um sich gegen ihn zu wehren. Wie Statuen blieben sie auf ihren Plätzen sitzen.
Sheila wusste, was folgte. Der Vampir war gekommen, um sich seine Nahrung zu holen. Plötzlich fühlte sich Sheila wie in einer Zwickmühle steckend. Sie war eine Zeugin. Sie war dabei, das Grausame zu sehen, zu erleben, und
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