Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
wie tief diese Jahre ihn berührt und geprägt haben.
Ich hoffe, dieser Krieg dauert nicht lange und bleibt auf Europa begrenzt. Es macht mich ganz unruhig, Dich so weit entfernt zu wissen. Mir wäre wohler, Du wärst bei mir in Brisbane. Australien scheint mir im Augenblick der sicherere Ort zu sein.
Wir müssen unbedingt in Verbindung bleiben. Ich schreibe Dir, sooft ich nur kann. Meine gute Gillian ist schrecklich aufgebracht. Sie will nicht, dass ich mich zum Einsatz melde. Ich kann nur hoffen, dass sie aus dem gleichen Holz geschnitzt ist wie Du und auf sich aufpassen wird.
Die neuen Truppen treffen sich im Ausbildungslager in Pukka Punyal in Victoria. Meinen nächsten Brief erhältst Du also aller Wahrscheinlichkeit nach von dort.
Pass bitte gut auf Dich auf!
Alles Liebe,
Martin
Neuguinea, Kokodatrail, 1942
N ichts in diesem Krieg entwickelte sich so, wie Martin es sich vorgestellt hatte. Unwillkürlich sah er an sich hinab. Er war verdreckt und stank zum Himmel. Die Müdigkeit, die ihn seit zwei Tagen gefangen hielt, zerrte an seinen Nerven. Er quälte sich den steilen Pfad hinauf, der über den südöstlichen Teil des Bismarckgebirges Neuguineas führte. Wenn nur dieser verdammte Regen nicht wäre! Martin hatte während seiner Jahre in Brisbane vergessen, wie heftig es in Papua regnen konnte. Der Regen fiel wie ein Schleier über das Land und ließ die Sicht verschwimmen. Überall tropfte und gluckerte es. Rinnsale, die zwischen seinen Beinen hindurchflossen, vereinten sich zu kleinen Bächen. Der Boden war längst mit Feuchtigkeit gesättigt, und mit jedem Schritt versanken die Männer knöcheltief im rotbraunen Schlamm. Den Kampf gegen die Blutegel und Moskitos hatten sie bereits verloren gegeben. Es erforderte alle Kraft, den zähflüssigen Dreck zu bewältigen, in dem dreißig Stiefel schmatzten, als wären sie ein einziges hungriges Monster.
Martin und seine Leute befanden sich auf dem Kokodatrail, der von der Hauptstadt Port Moresby nach Kokoda führte, einem strategisch wichtigen Flugfeld mitten im Hochland. Anfang Mai hatte die japanische Marine versucht, Port Moresby an der Südostküste Neuguineas einzunehmen, um dort einen Luftstützpunkt zu errichten, von dem aus sie das australische Festland angreifen könnte. Dieser Vorstoß wurde in einer erbitterten Schlacht im Korallenmeer gestoppt, doch die Japaner ließen sich von der erlittenen Niederlage nicht aufhalten. Sie wollten Australien! Und so versuchten sie nun, Port Moresby von Rabaul aus über Land einzunehmen. Ein Vorhaben, das die Alliierten, allen voran die australischen Truppen, um jeden Preis verhindern wollten.
Die Natur, die die Soldaten umgab, war fast unwirklich schön, doch Martin konnte sie, entgegen seiner Art, nur als weiteren Feind wahrnehmen. Nebelschleier, die wie Geister die Farne und Schlingpflanzen umwaberten. Riesige Spinnennetze, die sich quer über ihren Weg spannten. Zischen im Unterholz wie von Schlangen. Zudem dachte Martin an das, was vor ihnen lag: an eine Aufgabe, die nach seinem Ermessen zu hart für ihn und seine Männer war. Ein Vogel brach vor ihm durchs Gehölz, und Martin zuckte zusammen. Die Grübelei machte ihn nervös, doch er durfte sich nichts anmerken lassen. Er leitete die Aktion, musste der kleinen Truppe ein Vorbild sein.
Er wusste, dass sich die Japaner hier irgendwo geschickt verschanzt und die Digger womöglich längst im Visier hatten. Sie konnten überall lauern: in den Bäumen, hinter einem Felsen oder der nächsten Biegung des Trails. Jede Sekunde konnte einer von ihnen aus dem Dickicht hervorbrechen und sie mit dem Maschinengewehr niedermähen. Es war zermürbend. Ein halblauter Fluch entglitt ihm, als er ausrutschte und mit dem Gesicht voran der Länge nach in den weichen Schlamm fiel. Zum wievielten Mal eigentlich schon? Mühselig richtete er sich so weit auf, dass er im Matsch kniete. Mit einer geübten Bewegung wischte er sich mit der flachen Hand übers Gesicht, spuckte den Dreck aus. Er griff nach seinem Gewehr, schloss die Augen, biss die Zähne zusammen und zählte innerlich bis drei. Dann stand er in einer Bewegung auf. Seine Beine zitterten vor Anstrengung, als er den Marsch fortsetzte.
Martins winzige Truppe war Teil der australischen Infanterie, deren Soldaten von ihren Landsleuten nur Digger genannt wurden. Ihre Aufgabe war es, nach Kokoda vorzustoßen, das die japanische Armee vor kurzem eingenommen hatte, sie aufzuhalten und zurückzudrängen. Das war jedenfalls die
Weitere Kostenlose Bücher