Die Verschworenen
kann sehen, wie er schwankt. Wenn er hier umkippt, wäre das eine Katastrophe. Ich lege seinen Arm um meine Schulter und ermuntere ihn, sich abzustützen. Als er es wirklich tut, breche ich unter dem Gewicht fast zusammen.
Irgendwo wird eine Tür geöffnet und fällt wieder ins Schloss. Mein Puls hämmert in meinem Hals. Was, wenn Behrsen aufgewacht ist und jetzt Alarm schlägt? Für ihn hängt viel davon ab, dass wir erwischt werden, er wird alle Hebel in Bewegung setzen …
Da ist die Abzweigung zum Lieferanteneingang. Ein paar Meter weiter rechts liegt ein Raum für Recyclingcontainer, dort lotse ich Andris hinein. Ich will, dass er sich setzt, aber er legt sich hin und schnappt nach Luft.
Ich lausche. Folgt uns jemand? Herrscht bereits Aufruhr im Medpoint wegen des verschwundenen Prims?
Nein, ich glaube nicht. Es war wohl eine andere Tür, die ich gehört habe.
Zehn Minuten gebe ich Andris Zeit, dann muss er wieder aufstehen. Er behauptet, es ginge ihm besser, und tatsächlich gelangen wir in vernünftigem Tempo bis zum Ausgang des Medpoints.
Wir stehen nun in Kuppel 9, die ich in den letzten Wochen unzählige Male durchquert habe – wenn man sich beeilt und den kürzesten Weg nimmt, dauert das nicht länger als zehn Minuten.
Aber die Hauptstrecken sind auch nachts beleuchtet. Die Rolltreppen stehen zwar still und die Lichter sind gedämpft, doch wir würden auf jeden Fall bemerkt werden.
Sicherer ist es auf den Nebenpfaden, die zwischen den Wohn- und Betriebseinheiten verlaufen. Dort gibt es immer wieder Nischen und Winkel, in die wir schlüpfen können, wenn es nötig sein sollte.
Die Ruhe in der Kuppel ist zu dieser Zeit fast gespenstisch. Außer dem allgegenwärtigen tiefen Brummen der Belüftungsanlage ist nichts zu hören. Ich sehe nach oben, wo sich in großer Höhe die Hermetoplasthülle wölbt; darüber tut ein Himmel voller Sterne das Gleiche.
Etwas schließt sich schmerzhaft um meine Schulter. Ich habe schon erwartet, dass der Eindruck einer Kuppel von innen Andris verblüffen wird, und ich bin froh, dass er seinem Erstaunen nur durch einen festen Griff Ausdruck verleiht und nicht durch einen Laut, der die Sentinel auf uns aufmerksam machen könnte.
Ich warte darauf, dass sie sich zeigen. In jeder Kuppel patrouillieren nachts grüne Sentinel von der Quartierwache, meistens in Dreier- oder Vierergruppen. Ich möchte wissen, wo in Kuppel 9 sie sich gerade befinden, bevor wir weitergehen.
Zwei Minuten später weiß ich es. Ein nach oben gerichteter Lichtkegel hat die Kuppelwand gestreift. Sie sind also von uns aus betrachtet rechts, nicht weit von der Kantine.
Ich nehme Andris’ Hand und ziehe ihn nach links, dort schirmt ein Pharmazielabor uns vom Blick der Sentinel ab. Es ist ein lang gezogener Trakt, und als Andris mir nach einigen Minuten signalisiert, dass er wieder eine Pause braucht, kann ich sie ihm gönnen, ohne Angst vor Entdeckung haben zu müssen.
»Es ist nicht mehr weit«, flüstere ich ihm ins Ohr. »Die nächste Kuppel ist Kuppel 12 und dort geht es nach draußen. Vergiss nicht, was wir vereinbart haben: Ich spreche, du tust, als wärst du müde.«
Wir machen uns zur nächsten Etappe auf.
Einmal höre ich die Stimmen der Sentinel, ein lautes Auflachen, das mir viel zu nah scheint – haben sie die Richtung gewechselt? Da, wo wir uns gerade befinden, gibt es keine Versteckmöglichkeit, also zerre ich Andris bis zur Rolltreppe hinter dem Sportcenter, dort ist es fast stockdunkel. Wir kauern uns hin. Ich wünschte, er würde leiser atmen.
Die Stimmen der Sentinel sind immer noch hörbar. Sie klingen nicht alarmiert, es wirkt eher so, als freuten sie sich auf das baldige Ende ihrer Nachtschicht. Lange wird es nicht mehr dauern, der schwarze Himmel über der Kuppel verfärbt sich bereits ins Dunkelblaue.
Das heißt, dass bald die ersten handelswilligen Sphärenbewohner den Weg zur Schleuse suchen werden und wir nicht mehr die Einzigen sind, die hier herumstreunen.
Es bedeutet aber auch, dass in etwa einer Stunde Behrsen abgelöst werden wird. Maximal fünf Minuten später wird Alarm ausgelöst werden und dann sollten wir schon tief in das kleine Wäldchen eingetaucht sein.
Die Sentinel müssten sich inzwischen weit genug entfernt haben. Ich schiebe Andris aus dem Schatten ins matte Licht der Nachtbeleuchtung, direkt vor uns liegt der Durchgang zu Kuppel 12, von da aus müssen wir uns nach links wenden.
Neue Kuppel, neuer Wachtrupp. Wir bleiben dicht an der Wand und ich
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