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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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hat versucht, hier etwas anzupflanzen. Aus der aufgeschütteten Erde ragen einzelne Halme. Daneben wächst ein kleiner Busch, frische Blätter treiben aus seinen Zweigen.
    Sandor nimmt seinen Mantel von den Schultern und breitet ihn auf dem Boden aus, dort, wo die Sonne die Farben von Erde, Gras und Steinen leuchten lässt; Aureljo legt Tomma behutsam darauf.
    Das Blau ihrer Lippen ist dunkler geworden. Ich knie mich neben sie, lege ihr eine Hand auf die Stirn, wische ihr den kalten Schweiß von der Haut.
    Sie atmet jetzt in kleinen, kurzen Stößen, doch die Luft scheint ihre Lunge nicht zu erreichen. Sie sieht mich an, aber ich glaube nicht, dass sie mich wahrnimmt.
    Ich möchte etwas sagen, das sie beruhigt, das die Dinge besser macht, aber ich weiß nicht, was. Meine Kehle schmerzt, als würde jemand sie zudrücken.
    Stattdessen kommt aus Tommas Mund ein neuer Laut. Es klingt wie »Ja«. Das glaube ich zumindest. Als ich diesmal ihre Hand nehme, lässt sie es zu.
    »Ja«, wiederholt sie. »Ja?« Es ist nur eine einzige Silbe, doch die kostet sie entsetzlich viel Anstrengung.
    »Ja«, stimme ich zu. »Es wird alles wieder gut.« Ich kann die Tränen spüren, die mir heiß übers Gesicht laufen. Kann ich ihr wirklich nicht mehr geben als diese dumme Lüge? Nichts wird wieder gut und keine meiner Lektionen bei Grauko hat mich auf eine solche Situation vorbereitet. Falls es Worte gibt, die es Tomma leichter machen könnten, kenne ich sie nicht.
    »Ja?«
    Erst da begreife ich. Ich drücke ihre Hand fester – ihr diesen Wunsch zu erfüllen, liegt nicht in meiner Macht.
    »Sie will Yann«, sage ich.
    Sandor und Quirin wechseln einen Blick. Sandors Augen stellen eine stumme Frage. Soll ich ihn holen?
    Quirin schüttelt kaum merkbar den Kopf. Du wirst nicht schnell genug sein .
    »Ja?«, wiederholt Tomma. Ihre zweite Hand, die, die ich nicht festhalte, greift in die Luft.
    Sandor atmet durch. Kniet sich hin, fängt Tommas suchende Finger in seinen. »Meine Kleine. Ich bin da.«
    Seine Stimme ist ein bisschen heller als sonst und beinahe trifft er Yanns lässige Sprachmelodie. Unter normalen Umständen würde Tomma der Unterschied sofort auffallen, aber jetzt packt sie nur Sandors Hand. Zieht sie zu sich, an ihr Gesicht. Ihre Lider flattern, sie schließt die Augen. Ein längerer, pfeifender Atemzug.
    »Meine Kleine«, wiederholt Sandor. Er legt sich neben Tomma, drückt sie an sich, hält ihren Kopf an seiner Schulter fest.
    Sie lässt meine Hand los. Auch ihre Fingernägel sind blau.
    Sandor wiegt sie und summt eine Melodie, die ich nicht kenne, während wir anderen nur dastehen und zusehen können. Aureljo hat eine Faust an seinen Mund gepresst und atmet schwer; als er meine Tränen sieht, kommt er zu mir und hält mich. Es fühlt sich an wie Sicherheit, aber das ist ein trügerisches Gefühl; Sicherheit existiert nicht. Nirgendwo.
    Auch Quirins Augen sind nass. Er wendet den Blick keine Sekunde lang von Tomma. Ein Windstoß weht ihm eine Strähne seines weißen Haares ins Gesicht, aber er scheint es nicht zu bemerken.
    Irgendwann lässt Sandor Tomma los. Dreht sie behutsam auf den Rücken, als wollte er sie nicht wecken. Mit einer Hand streicht er ihr über die Lider. Betrachtet ihr Gesicht noch vier, fünf Herzschläge lang, bevor er zu uns aufsieht. Ohne Worte, aber die sind auch nicht nötig.
    Ich verkrieche mich in Aureljos Armen, warte darauf, die Verzweiflung gleich in ihrer vollen Wucht zu spüren, warte auf sie wie auf den schmerzhaften Aufprall nach einem Sprung von sehr weit oben.
    Aber sie kommt nicht. Alles, was ich fühle, ist Leere, trostlos und kahl wie eine Wüste aus Schnee.
    Wir kehren in unser Gewölbe zurück. Wieder ist es Aureljo, der Tomma trägt; genauer gesagt ihren Körper, der schlaff in seinen Armen hängt. Ich will nicht hinsehen und muss es trotzdem, weil ein Teil von mir darauf wartet, dass sie sich wieder regt, die Augen aufschlägt, irgendetwas.
    Es ging ihr doch gut, gestern Abend, besser als die Tage davor. Es ist nicht fair. Es ist nicht richtig. Es ist … ein Irrtum.
    Ich weiß nicht, an wen sich meine Gedanken richten. Wen ich überzeugen will, aber mein Kopf hört einfach nicht auf, Argumente aufzulisten, dafür, dass Tomma nicht tot sein kann, dass es sich um einen Fehler handelt, der sofort rückgängig gemacht werden muss.
    In unserer Unterkunft verstärkt sich das Gefühl. Da sind die Decken, die sie zerwühlt hat. Das Buch, aufgeschlagen bei der letzten Seite, die sie

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