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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Kirchenverwaltung haben vorgeschlagen, dass wir Fußball spielen mit den Jungs. Scheint gut zu sein für die Kinder; da arbeiten sie ihre überschüssige Energie ab.«
    »Aber Sie selbst waren Boxer?« fragte ich.
    »Ja. Ich hab' in den Vierzigern für Loyola geboxt. Irgendwann habe ich dann meine Berufung gefunden, aber das Boxen nicht aufgegeben. Ich leite immer noch einen Verein hier, und St. Remigio ist immer noch die beste Schule dafür - das gibt den Jungs etwas, worauf sie stolz sein können. Gegen die großen Schulen draußen in den Vororten können wir nicht Fußball spielen. Wir kriegen die nötige Ausrüstung für elf Jungs, geschweige denn für fünfzig oder sechzig wie die da draußen, einfach nicht zusammen. Aber Boxer brauchen nicht viel. Lucy war einer von meinen besten. Ich war wirklich stolz auf ihn.«
    Er presste die Lippen aufeinander. Einen Augenblick lang wirkte er wie ein müder alter Mann mit wässrigen Augen, doch dann riss er sich zusammen.
    Er sah mich mit aggressivem Blick an, als wolle er sichergehen, dass ich ihn nicht wegen seiner Schwäche bemitleidete. »Leute von der Polizei waren hier und haben behauptet, dass er von seiner Fabrik aus mit Drogen handelt. Sie wollten, dass ich ihm nachspioniere. Ich habe ihnen gesagt, was ich davon halte. Dann sind auch noch die Zeitungen und das Fernsehen bei mir aufgetaucht. Ein junger Mexikaner hat Erfolg, also muss er mit Drogen handeln, so ähnlich hat's der Herald-Star wohl ausgedrückt. Sie haben dem armen Jungen, der einen uralten Wagen gefahren hat, damit er die Schulgebühren von St. Remigio für die Kinder seiner Schwester bezahlen konnte, einfach keine Ruhe gelassen.«
    Er nahm einen Schluck Tee. Ich tat es ihm der Höflichkeit halber gleich. Er war leicht und blumig und in der Hitze erstaunlich erfrischend.
    »Wann haben Sie sich das letzte Mal mit ihm unterhalten?« fragte ich.
    »Er ist ein- oder zweimal die Woche zur Messe hierhergekommen. Ich glaube, am letzten Dienstag. Er ist als Ministrant eingesprungen, als er gesehen hat, dass der Junge, der's eigentlich hatte machen sollen, nicht erschienen ist. Damals, als er vierzehn war, haben sie ihn ausgelacht, als ich ihn überredet habe zu ministrieren - kleiner Altarjunge, haben sie ihn immer gehänselt -, aber dann hat er irgendwann angefangen, Boxkämpfe zu gewinnen, und sie haben bald damit aufgehört.
    Aber ich schweife ab. Ich kann mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, dass er tot ist. Es ist leicht zu sagen, dass die Menschen zu Jesus gehen, wenn sie sterben, und ich glaube sogar, dass das stimmt, aber wir hätten Lucy hier gebraucht. Ich jedenfalls. Jesus weinte, als Lazarus starb - also wird der Herr mich nicht dafür verurteilen, dass ich über den Tod von Lucy weine.«
    Er nahm die Marienfigur in die Hand und drehte sie zwischen den Fingern. Dabei glättete er den Taft über ihren Hüften. Ich sagte kein Wort. Er würde selbst entscheiden, wann er weitersprach.
    »Nun, er ist also weiter zu uns in die Messe gekommen. Als er seine Fabrik Special-T aufgebaut hat, hätte er das in einem sichereren Viertel machen können, aber er wollte in der Nahe der Kirche bleiben. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm das Leben, das er nun führte, erst ermöglicht hatte. Anfangs hat er noch für 'ne Gang Schmiere gestanden und Drogen verkauft, aber dann hat er sich zum Stadtmeister im Leichtgewicht hochgearbeitet. Später ist er auf die Loyola University, meine alte Schule, gegangen. Das hat er sich durch Nachtschichten in einem Hotel in der Innenstadt finanziert. Und seit er für mich geboxt hat, hat er die Finger von den Drogen gelassen. Das sage ich allen Jungen: Sie können nicht gleichzeitig an Jesus glauben und mit Drogen handeln, das geht nicht.« Er sagte das ganz ohne Pathos. Niemand, der diese Oberarme oder den unnachgiebigen Zug um seinen Mund gesehen hatte, konnte daran zweifeln, dass sich Vater Lou ohne zu zögern mit einem Gangmitglied anlegen würde.
    »Jedenfalls glaube ich, dass er am Dienstag das letzte Mal hier war. vielleicht war's aber auch am Mittwoch, so genau kann ich das nicht mehr sagen. Wir haben uns nach der Messe einen Kaffee und ein Donut gegönnt.«
    »Hat er da beunruhigt gewirkt?«
    »Natürlich. Schließlich haben die Leute diesen ganzen Mist über ihn und die Drogen erzählt!« brüllte der alte Mann und schlug so heftig auf den Tisch, dass die Marienfigur ins Wanken geriet. »Aber was geht Sie das an?«
    »Wenn Sie das tröstet: Ich glaube, dass jemand

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