Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
erfreuliche Weise unterbrochen, denn Geoffrey speiste mit uns zu Abend. Ich war so froh, ihn zu treffen.
Eine Woche war vergangen, seit ich Nan oder meine Geschwister, die ich alle so schmerzlich vermisste, zuletzt gesehen hatte, und gleich nach ihnen war er die nächstbeste Wahl – in mancherlei Hinsicht sogar die bessere, denn ihm konnte ich mich völlig offenbaren, ihn konnte ich um Rat angehen, und solch ein Vertrauter tat mir dringend not.
Während wir aßen, unterhielt Geoffrey mich und meine Großeltern mit Geschichten über Knappenfreunde und peinliche Fehler, die er abzustellen suchte.
»Ich verfügte über mangelhaftes Wissen, was die Feinheiten im Deuten der jeweiligen Garderobe eines Menschen betrifft, versteht Ihr. Plötzlich wurde von mir erwartet, nur durch einen Blick auf die Kleidung den Rang einer Person zu erkennen. Ich hatte geglaubt, mir ihre Gesichter merken zu können, aber dafür blieb keine Zeit.« Er musterte mein neues lincolngrünes Seidenkleid und sagte: »So hätte ich zum Beispiel vermutet, dass es sich bei dir um eine vermögende Dame des Königreichs handelt oder um die Tochter eines wohlhabenden italienischen oder französischen Kaufmanns. Nicht um die Ehefrau, da du dein Haar offen trägst. Ah, siehst du, wie du mich verwirrst, meine teuerste Freundin, denn immerhin kenne ich dich gut genug, um zu wissen, dass ich bis auf den letzten Punkt in allem irre.«
»Keineswegs«, erklärte Dame Agnes mit neckend herausforderndem Blick. »Schließlich ist sie mit einem Mann verlobt, der mütterlicherseits Italiener ist und der extensiven Handel mit Italien und Frankreich betreibt!«
»Ah, aber natürlich – Janyns Mutter!« Geoffrey verbeugte sich. »Ich bin Euch auf ewig zu Dank verpflichtet, Dame Agnes. Ihr habt mich gerettet.«
Ein lebhaftes Streitgespräch entbrannte darüber, wie strikt Kleidungsvorschriften noch befolgt würden, und das Essen nahm in großer Fröhlichkeit seine Fortsetzung. Später schlugen
meine Großeltern vor, Geoffrey und ich sollten uns doch ein wenig allein unterhalten, und gestatteten, dass wir uns in den Garten zurückzogen, wo sie uns zwar sehen, aber nicht hören konnten. Ich war ihnen höchst dankbar. Es gab so viel, was ich ihm berichten wollte.
Aber er war fast noch begieriger, mir zu erzählen, was er am Abend zuvor erfahren hatte.
»Deine Eltern sind nach Castle Rising geladen worden. Einbestellt von Lady Isabella, der Königinmutter.«
Mir wurde eiskalt, obwohl ich doch direkt in der warmen Abendsonne saß.
»Meine Eltern nach Castle Rising? Warum? Wo hast du das gehört?«
Er beobachtete mich, als wäre er neugierig gewesen, wie ich reagierte. Jetzt nickte er bedächtig. »Ich dachte mir, dass dich die Sache ebenso verblüffen würde wie mich. Warum die Einladung? Ich habe keine Ahnung, und der Mann, der mir davon erzählt hat, auch nicht. Aber er sagte, dein Verlobter und dessen Eltern seien regelmäßig Gäste der Königinmutter, und dass dein eigener Vater schon einmal zu anderer Gelegenheit dort gewesen sei – kurz vor deiner Verlobung.«
»Diesen Besuch hatte ich ganz vergessen. Vater hat eigentlich kaum mehr darüber gesagt, als dass er in Castle Rising gewesen ist. Ich hatte geglaubt, er meint die Stadt, nicht die Burg. Und ganz gewiss hat er nicht die Königinwitwe erwähnt. « Es behagte mir nicht, Geoffrey noch mehr zu erzählen, genauso wenig wie es mir behagte, es nicht zu tun.
Ich begann zu verstehen, wie viel Vater meine Vermählung mit Janyn einbringen konnte. Die Verbindungen zum Hof würden ihm ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Kein Wunder, dass er bereitgewesen war, Mutter die Stirn zu bieten. Ich presste meine eisigen Hände an meine glühenden Wangen. Geoffrey betrachtete mich interessiert.
»Glaubst du, diese Ladung nach Castle Rising hat etwas mit Janyn zu tun? «, fragte ich ihn.
»Es gibt Gerüchte um seine Familie, dass sie von Isabella gefördert wird. Aber das überrascht mich nicht. Sie hat sich stark für die Verbreitung des lombardischen Kunsthandwerks in London eingesetzt, und Martins Gemahlin stammt aus der Lombardei.«
»Aber ich verstehe nicht, was meine Familie damit zu tun hat.«
»Das verstehe ich auch nicht, Alice.«
»Besteht für mich Grund zur Besorgnis?« Ich hatte Geoffreys Meinung stets geschätzt. Schon früher schien er die Welt als Großes und Ganzes besser begreifen zu können als ich, und jetzt lebte er in einem adligen Haus und war weit gereist.
Er hob die Augenbrauen und
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