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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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behalten.
    Aber es kommt nicht auf mich an, dachte er. Erneut schlug er ein Kreuz. Auf mich kommt es überhaupt nicht an. Ich habe alles nur meinem Urahn zu verdanken. Diesem überwältigenden Mann, dessen Namen noch niemand richtig übersetzt hatte. Nur er allein wusste, was sein Name bedeutete: Gott ist gnädig !
    Er selbst war zu keiner Zeit gnädig gewesen. Aber der Urahn hätte das verstanden. Es war nur sein Name.
    Nach dem Tod der einzigen Frau, die dieser große Mann neben seiner Mutter nicht verachtete, der Herzogin, hatte er zu wüten begonnen. Zwei tote Frauen in seinem Leben hatte er nicht verkraften können.
    Die Herzogin aus dem zweiten Haus Avaugour! Er sah sie vor sich. Welch eine begnadete Frau. Wie außergewöhnlich schön war sie gewesen. Lange Locken, ernste Augen, das Lächeln in diesem edlen Gesicht wie Sonnenstrahlen. Ein Leib, den sie in ungezügelter Lebensfreude hingab, in Affären, Leidenschaften, Feindschaften   – bis der Mann ihres Lebens erschien, der Mönch, der Heeresmann, Gott ist gnädig auf seiner Stirn.
    Seine Verleumder behaupteten, er habe sie getötet, um frei zu werden für seine Mission. Welch eine Lüge! Wenn es so wäre, wie könnte er selbst, hier und heute, beide lieben! Wie könnte er einen Mörder und sein Opfer gleichzeitig lieben!
    Die Herzogin, wie klug sie gewesen war. Ihr Bild hing als Amulett um seinen Hals, geschützt hinter Glas und eingebettet in seine unbändige Liebe. Er nestelte an der feinen Kette, zog das Amulett hervor, küsste es. Marie, die fernste Mutter, dachte er, die je ein Mensch besaß. Warum trennte sie das Leben, wenn die Sehnsucht füreinander so groß war?
    Er musste sich eingestehen, dass er Gott dafür zürnte, dass er ihr Leben so eingerichtet hatte. Ja, er zürnte seinem Gott! Aber bevor er sich dafür züchtigen konnte, wie er es früher getan hätte, unterdrückte er diese Gedanken. Er musste seinen Auftrag ausführen! Er bekreuzigte sich noch einmal. Dann noch einmal.
    Man muss, dachte er, die Schöpfung so hinnehmen. Dieser Abgrund aus Zeit ist nicht in Liebe zu überbrücken, sondern nur, wenn man aus dem Leben scheidet. Musste er deshalb nicht endlich loslassen? Wenn man sein Leben nicht vergeudet hat, kann man loslassen, dachte er.
    Aber da war dieser Auftrag. Er wollte das Original. Er wollte es von der Muttermörderin. Dann würde er sehen, was noch möglich war.
    Er hielt vor ihrem Haus. Erst seit wenigen Tagen wusste er, dass sie hier wohnte. Das hätte er nicht für möglich gehalten. So nahe in seinem eigenen Wirkungskreis! War sie des Teufels? Hatte sie keinen Respekt?
    Oder plante sie irgendetwas hinter seinem Rücken?
    Wie weit waren ihre Pläne schon gediehen?
    Er hatte schnell begriffen, wer sie war. Der Polizist hatte ihn mit seinen Besuchen auf ihre Spur gebracht, ohne es zu ahnen. Woher er sie kannte, wusste er nicht. Er wusste jetzt nur, dass sie es war, nach der er suchte. Und dass nur sie im Besitz der Schrift sein konnte. Ein Anruf bei seinen Auftraggebern hatte letztlich die Erkenntnis gebracht.
    Sie besaß das Original. Diese verfluchte Nachfolgerin.
    Er stieg ungeniert aus. Schlug die Autotür laut hinter sich zu. Ging auf das schmiedeeiserne, von Rosen umrankte Eingangstor zu, dessen Anblick ihn ärgerte. Nicht dass er Schönheit verachtete. Er war angewiesen auf Schönheit. Aber er hasste sie, wenn sie nicht auf ihn zeigte, wenn sie nicht sein Spiegel war. Er klingelte.
    Keine Antwort.
    »Hallo!«, rief er mit überlauter Stimme.
    Er wollte bemerkt werden.
    »Hallo!«
    Nichts rührte sich.
    Ich weiß, dass du da drin bist, dachte er. Wo sollst du sonst sein, Hexe!
    Er klingelte erneut.
    Stille.
    Nur vom Rhein her das Tuckern und Schleifen von Lastkähnen.
    Dann geht es eben anders, dachte er.

    Martin Velsmann blickte gedankenverloren von seiner Lektüre auf und bemerkte nach einem Moment, dass die kleine Bibliothekarin ihn beobachtete. Sie hatte ihr Handy auf das Pult gelegt. In ihrem kindlichen Gesicht   – er hatte gehört, dass sie auch die entsprechende Stimme besaß   – stand keine Regung, weder Hass noch Sympathie noch irgendetwas dazwischen. Vielleicht blickte sie auch nur durch ihn hindurch auf seinen Hintermann. Velsmann drehte sich um. Er saß unmittelbar vor der Mauer aus roten Klinkersteinen. In diesem Moment griff die Bibliothekarin zum Handy und sprach hinein.
    Es ist nichts, sagte sich Velsmann. Keine Gespenster sehen. Alte Bullenkrankheit.
    Er dachte an Andrea. Sie war siebenhundert

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