Die verzauberten Frauen
Fall sein, dachte Velsmann. Der alte Mann spielt noch einmal Actionheld. Noch während er Andrea wieder in die Arme nahm, überlegte er, wo er anzufangen hatte.
Tibor kam ins Arbeitszimmer seines Vaters und wollte ihm etwas zeigen, aber Velsmann hatte gerade den Telefonhörer in der Hand, um Karen Breitenbach anzurufen. Er vertröstete seinen Sohn auf später.
»Aber komm dann gleich in mein Zimmer, es ist ganz wichtig!«
Velsmann machte eine zustimmende Geste und wählte Breitenbachs Nummer. Er hatte die ehemalige Kollegin seit Wochen nicht gesprochen.
Sie freute sich unüberhörbar, von ihm zu hören. Velsmann erzählte von seinem Besuch bei der Therapeutin und dankte Breitenbach für den Tipp.
»Wohnt sie nicht phantastisch?«
»Wie kamen Sie eigentlich darauf, uns zu vermitteln?«
»Na, wie gesagt, wir kennen uns aus beruflichen Zusammenhängen.«
»Sprachen Sie zuerst von mir – oder die Therapeutin?«
»Ist das wichtig?«
»Wahrscheinlich nicht. Aber ich würde es dennoch gerne wissen – für die Akten.«
Breitenbach überlegte. »Ich glaube tatsächlich, Jane hat nach Ihnen gefragt. Sie kannte wohl Ihre Unterlagen.«
»Aus Eichberg, nehme ich an.«
»Ja genau. Jane kann Ihnen auf jeden Fall helfen, ich kenne keine bessere Therapeutin. Auch wenn man manchmal nicht weiß, was sie eigentlich tut oder worauf sie hinaus will. Ihre Methode wirkt immer und sie wirkt nachhaltig.«
»Die Wirkung hat bei mir schon angefangen. Ich will mich noch einmal mit dem heiklen Fall beschäftigen. Sie wissen schon, die alte Handschrift, der Mord auf der Loreley, der Mord an Ingrid Kessler in Fulda, 1983. Kann ich Ihnen zumuten, mir was über den Stand der Dinge zu sagen?«
»Trauen Sie sich das wirklich zu, Herr Velsmann?«
»Ich muss, wohl oder übel. Ich muss mein Verließ entrümpeln.«
»Größere Umbaumaßnahmen?«
»Alles wird neu.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut.«
»Verstehe. Ich kümmere mich darum und rufe zurück!«
Velsmann dachte über Karen Breitenbach nach. Sie hatte jetzt seinen Platz in Fulda eingenommen. Sie war durch und durch Ermittlerin, mit großen Erfolgen. Eine Frau, die ihren Weg durch die männlich dominierte Kripowelt gegangen war. Das Pistolenhalfter stand ihr gut.
Velsmann ging in den Keller. Tibor hatte sich dort eine Computer-Höhle eingerichtet. Er versuchte, Codes zu knacken, seine Hacker-Mentalität war ausgeprägter als seinem Vater lieb war. Aber Velsmann konnte nicht erkennen, ob er wirklich Gesetze verletzte. Er hoffte, sein Sohn konnte es.
»Setz dich neben mich, ich will dir was zeigen, Papa! Es wird dich interessieren.«
Oben klingelte das Telefon. Velsmann bat seinen Sohn, noch einen weiteren Moment zu warten und lief in sein Zimmer. Es war Breitenbach.
»Es ist seltsam, aber alle Zugriffe auf die Sachen, die Sie haben wollen, sind versperrt. Ich bekomme keine Daten.«
»Wie ist das möglich? Es sind doch offizielle Ermittlungsdaten?«
»Ja schon. Aber ich werde verwiesen an meinen Vorgesetzten. Mein Büroleiter Pfedder, es ist nicht der alte Kriminalrat, es ist sein Sohn, ein Fall von Nepotismus, sitzt auf der Akte wie Zerberus und bellt. Ich müsste ihm plausibel machen, warum mich die Sachen plötzlich interessieren.«
»Erfinden Sie ein glaubhaftes Interesse. Sie sind doch auch Philosophin, argumentieren Sie mit Kant …«
»Ich kann es versuchen. Aber er wird wittern, dass letztlich Sie dahinterstecken. Und Sie sind ja hier ein rotes Tuch für gewisse Instanzen.«
»Das weiß ich. Versuchen Sie es trotzdem. Vielleicht genügt es auch, wenn Sie mir eine kurze Zusammenfassung nach Ihrem Kenntnisstand geben, Karen.«
Sie überlegte. Er hörte, wie sie die Bürotür schloss. Dann sprach sie mit leiser Stimme.
Soweit sie wusste, war der Fall abgeschlossen. Niemand sprach jedenfalls mehr davon. Der oder die Mörder von Ingrid Kessler waren nicht gefunden worden. Mit dem historischen Mord auf der Loreley befasste sich schon gar niemand. Der galt als Velsmann-Wahn. Die ominöse Handschrift mit dem Text aus Brentanos Chronika des fahrenden Schülers lagerte im Bundesarchiv Koblenz. Zwischen diesen Indizien hatten die ermittelnden Behörden keine Verbindung feststellen können. Die Akte war geschlossen.
»So ähnlich habe ich mir das vorgestellt«, sagte Velsmann. »Der Eifer, mit dem der Fall so dargestellt wird, muss doch stutzig machen, oder?«
»Vielleicht sollte ich Ihnen doch raten, die Finger davonzulassen.«
Velsmann blieb starrsinnig.
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