Die Visionen von Tarot
Obere Viertelgriff, einer der wirkungsvollsten im gesamten Judoarsenal. Das Ungeheuer ließ sich schwer fallen, verlegte das Gewicht des Körpers auf Bruder Pauls Kopf, hielt ihn fest und zwang ihn, das Gesicht zur Seite zu wenden, damit er nicht erstickte. Der Gestank der Fischschuppen von Apollyon stieg Bruder Paul direkt in die Nase, und sie schabten über seine Wange. Er versuchte, sich zu wehren und das Ungeheuer abzuschütteln, aber der Griff saß grausam fest. Apollyon wußte wirklich, was er tat. Niemand konnte diesem Griff entkommen!
Aber das war hier kein Judokampf. Das Ungeheuer hatte nicht im Sinn, ihn nach dreißig Sekunden und dem Sieg höflich wieder freizugeben. „Jetzt bin ich mir deiner sicher“, sagte Apollyon und preßte ihn noch fester zu Boden. Wie durch Zauberei wurde das Körpergewicht immer schwerer, war größer, als es in dieser Position eigentlich sein konnte. Bruder Paul dachte, es würde ihm den Schädel zerquetschen. Seine Augäpfel traten heraus; fast schienen sie aus dem Kopf zu platzen. Er saß in der Falle, und ein unsichtbarer Hebel drückte fester zu …
Dann sah er das Schwert. Es war nicht weit geflogen und lag in einem Meter Entfernung flach auf dem Boden. Wenn er den Kopf in die andere Richtung gedreht hätte, würde er es nicht gesehen haben. Glück! Verzweifelt streckte er die linke Hand aus – und griff sich das Schwertheft.
„Frohlocke nicht über mich, o mein Feind“, keuchte er. „Wenn ich falle, werde ich aufsteigen.“ Dann stieß er mit der Linken dem Ungeheuer in die Seite. Es war kein sehr wirksamer Hieb, weil Bruder Paul kaum sehen und kaum mit Kraft zustechen konnte, doch die gute Waffe schnitt eine Wunde in die Schuppen und legte das dunkle Fleisch bloß.
Apollyon stieß einen Schmerzensschrei aus. Sein Griff lockerte sich. Bruder Paul konnte ihn endlich abschütteln. Er rollte auf die Knie, schüttelte den schmerzenden Kopf und sah bräunlichen Schleim aus der Wunde des Ungeheuers tropfen. Bruder Paul richtete sich auf, umklammerte mit beiden Händen das Schwert und hob es hoch. „Nein“, schrie er. „In all diesen Dingen sind wir durch IHN , der uns liebt, mehr als bloße Eroberer!“ Und mit einem zerschmetternden Hieb sauste das Schwert herab.
Aber Apollyon gab sich besiegt, stolperte zurück und entging dem Schlag. „Verschone mich, großer Held“, rief er. „Ich werde mich deiner Gnade wert erweisen!“
Bruder Paul zögerte. Stand das in seiner Rolle? Konnte er dem Ungeheuer vertrauen – oder dem Mann, der es spielte? Nun, er hatte immer noch sein gutes Schwert und konnte es im gleichen Augenblick zum Einsatz bringen, in dem Apollyon eine falsche Bewegung machte. Das Ungeheuer schien ohnehin keine Pfeile mehr zu haben. „Was bietest du mir, o Feind?“
„Wissen!“ rief das Ungeheuer eifrig. „Ich kenne diese Reiche besser als du. Ich kann dir den Weg zu allem weisen, was du suchest. Reichtümer, Waffen, husche Nymphen …“
Hm. „Ich suche jemanden in der Hölle.“
Das Ungeheuer schien eine Sekunde lang verdutzt zu sein und breitete dann die Flügel aus. „Dorthin hätte ich dich schon eher schicken können, wenn du mich nicht besiegt hättest.“
„Ich will nicht in die Hölle geschickt werden … ich will jemanden von dort retten. Suche du ihn an meiner Stelle, und du hast freien Abzug.“
Wieder flatterte Apollyon mit den Flügeln, was wie ein Achselzucken wirkte. „Ich sehe, du weißt nur sehr wenig von der Hölle. Oh, Sterblicher! Wenn es dich soviel Mühe gekostet hat, mich zu besiegen (und das gelang dir auch nur, weil ich vergessen hatte, dein Schwert fortzutreten): Wer bin ich, der Geringste deiner Feinde, wenn ich auch nur Sekunden in diesem infernalischen Raum überleben würde? Du müßtest alles über die Geschichte und
Weitere Kostenlose Bücher