Die Weltenwanderer
aufgelöst haben. Erneut rief er die Namen seiner Kameraden und erneut erhielt er keine Antwort. Anna war nur Sekunden vor ihm unter dem Klotz hergerollt. Sie konnte nicht einfach verschwunden sein.
Er bemühte sich, seine aufsteigende Panik zu ignorieren, und rieb sich die klammen Finger.
»Denk nach, Erik, denk nach! Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Man muss sich ihm nur stellen«, murmelte er. Er griff sich die Fackel und sah sich erneut um, betastete vorsichtig die gelblichen Wände. Sie fühlten sich an wie feuchter Lehm. Einfache Holzstützen und Bretter sollten den Gang offensichtlich vor dem Einsturz bewahren. Hier und da tropfte rötliches Wasser von der Decke und hinterließ Pfützen auf dem Boden. Das Ganze wirkte in keiner Weise vertrauenerweckend. Ohne an einen Erfolg zu glauben, rief er wieder die Namen seiner Freunde. Bis auf das gleichmäßige Tröpfeln blieb es still.
Die Fackel fest in der Hand ging er weiter. Verzweifelt versuchte er, nicht daran zu denken, was mit seinen Freunden geschehen sein konnte. Es musste eine Erklärung für ihr Verschwinden geben, und er würde sie wieder finden.
Der Weg gabelte sich. Erik hielt sich rechts und dachte daran, dass sein Orientierungssinn nur als
nicht vorhanden
bezeichnet werden konnte. Er verlief sich ständig und konnte hier stundenlang im Kreis laufen, ohne es zu bemerken.
»Oh, nein, Erik! Du kannst dir keine Wege merken, aber du bist nicht doof«, erklärte er laut und zückte sein Schwert. »Du bist jetzt so etwas wie mein Ariadnefaden. In der Sage half der Theseus, das Labyrinth des Minotaurus zu meistern. Enttäusch mich also nicht!«
In regelmäßigen Abständen ritzte er Kreuze in die Lehmwände. An jeder weiteren Gabelung wählte er den rechten Weg. Eine Ansammlung weißer Knochen und Fellreste ließ ihn innehalten. Der Größe und Anordnung nach zu schließen konnte hier nur ein verblichener Quinn liegen.
Keiner war jemals zurückgekommen, schoss es ihm durch den Kopf. Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand eine Faust in den Magen gerammt, und wandte sich schaudernd ab. Automatisch ging er einige Zeit schneller. Immer wieder kam er an Skeletten vorbei, die er tunlichst nicht weiter beachtete. Schweiß tropfte ihm mittlerweile in die Augen. Zwar war es nicht einmal heiß, aber hohe Luftfeuchtigkeit ließ ihn schwitzen – zumindest redete er sich ein, dass er lediglich aus diesem Grund schwitzte. Es kam ihm bald vor, als sei er bereits Stunden im Stollenlabyrinth unterwegs.
»Nur nicht durchdrehen«, forderte er sich leise auf. Er glaubte oder hoffte oder fürchtete, etwas gehört zu haben, und blieb stehen. »Ist hier jemand?«
Nichts!
Drückende Mattigkeit überkam ihn. Immer mühsamer schleppte er sich dahin. Gelbe Wände, schwarze Bretter, gelbe Wände, schwarze Stützen, hinter dem Gang der nächste Gang und hinter dem nächsten Gang der übernächste Gang, und nur gelbe Wände und schwarze Bretter, bleiche Gebeine und ein stetiges Tropfen.
Er musste schon den halben verdammten Planeten unterwandert haben, und dieses gleichmäßige Plitsch ... Platsch machte ihn wahnsinnig. Er war kurz davor, sich die Ohren zuzuhalten und leckte sich seine trocknen Lippen. So unvermittelt waren sie aufgebrochen, dass sie nicht daran gedacht hatten, Proviant oder zumindest Wasser mitzunehmen. Hunger verspürte er keinen, aber Durst. Unschlüssig blieb er vor einem kleinen Rinnsal stehen und betrachtete das rötliche Wasser. Bei den Pudell hatten sie es trinken können. Sollte er es auch hier wagen? Nein, so weit war er noch nicht. Müde setzte er Fuß vor Fuß.
Der mangelnde Schlaf und die lange Wanderung forderten ihren Tribut. Seine Beine schienen aus Blei zu bestehen. Das war jedoch nicht das Schlimmste! Was tat man gegen das immer beklemmender werdende Gefühl der Verlorenheit? Was tat man, wenn die Furcht, irgendwann unweigerlich wie die Quinn zu enden, sich nicht mehr verdrängen ließ? Man ergab sich den Gefühlen und endete wie die Quinn, oder man versuchte, dagegen anzukommen und redete Unsinn! Wo konnten seine Freunde sein? Gemeinsam waren sie Meister im Unsinnreden.
Er schluckte schwer, fuhr sich energisch mit dem Handrücken über den Mund und redete mit heiserer Stimme drauflos: »Du bist ein echter Knüller, Erik Haiden, von Gandar, und trotz zweier Namen doch elternlos. Labyrinthe kennst du von der Kirmes. Die kannst du meistern. Ist nur eine Sache der Logik. Weg einhalten und Ruhe bewahren: Das ist alles, was zählt.
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