Die wilde Jagd - Roman
ihm gesagt hatte? Oder hatte er beschlossen, einfach nichts darauf zu geben? Sie konnte ihn niemals heiraten – sie wollte es nicht –, und doch hatte er ihre Weigerung abgetan, als ob er besser als sie selbst wüsste, was sie dachte und fühlte.
Wie kann er es wagen?
Sobald sie sich auf das Haus zubewegte, verspürte sie stechende Schmerzen im Fuß. Sie rührten von einer Scherbe der zerbrochenen Teetasse her. Tanith humpelte zu einem Stuhl, setzte sich und legte den Fuß auf das andere Knie. Ein Porzellansplitter, der wie eine Kralle geformt war, hatte sich ins Fleisch gebohrt. Sie biss die Zähne zusammen und zog ihn heraus. Scharlachrotes Blut quoll aus der Wunde, und sie tastete nach einer Serviette, um es zu stillen.
Blut, das bei einem Abschied vergossen wurde, war ein schlechtes Omen. Trennung. Entfremdung. Verlust. Tanith zuckte zusammen und drückte fester auf das helle Tuch, das sich zwischen ihren Fingern allmählich rötete. Mochten die Geister verhüten, dass dies ein Omen für ihre Vorstellung am Weißen Hof war.
20
Ytha sah unbeteiligt zu, wie Teia eine Flamme auf ihrer ausgestreckten Handfläche heraufbeschwor. Die Musik dabei war so flüchtig wie ein Wispern, doch Teia spürte die Hitze auf ihrer Haut. Das erstaunte sie immer wieder, egal, wie oft sie es tat. Sie vergrößerte die Flamme, bis sie so lang wie ihr Finger war, dann hielt sie sie vollkommen ruhig.
Mit einem Fingerschnippen löschte Ytha sie. »Noch einmal.«
Teia griff in ihre Magie und holte eine weitere Flamme hervor. Abermals erstickte Ytha sie, und Teia zuckte zusammen.
»Noch einmal.«
So ging es nun schon die ganze Unterrichtsstunde hindurch. Ytha verlangte, dass Teia die einfachsten Aufgaben immer wieder erledigte, ohne ihr etwas Neues zu zeigen. Und nichts stellte sie zufrieden. Entweder war Teia zu langsam oder zu nachlässig, die Flamme zu klein oder zu groß, oder es gab irgendeinen anderen Makel, den nur die Seherin erkannte. Als Teia es einmal gewagt hatte, sie zu fragen, was sie denn falsch gemacht hatte, hatte sie eine so heftige Ohrfeige erhalten, dass sie Sterne gesehen hatte. Ihre Lippe fühlte sich noch immer geschwollen an.
Sie rief eine neue Flamme hervor und erhielt sie aufrecht, bis sie spürte, wie Ythas Magie stärker wurde; dann ließ sie die Flamme von sich aus ersterben, denn sie wollte sich den Schmerz, wenn Ytha sie erstickte, ersparen.
Ytha hob eine Braue. »Entziehe dich mir nicht, Kind. Noch einmal!«
Teia neigte den Kopf; vor Elend saß in ihr ein Kloß in der Kehle. Sie hätte nie versuchen dürfen, Ytha von ihrem Pakt mit Maegern abzubringen. In den zwei Wochen, die seitdem vergangen waren, hatte sie nichts Neues mehr gelernt. Immer wieder musste sie wie ein langsam lernendes Kind die stets gleichen einfachen Aufgaben lösen und wurde willkürlich bestraft.
Einmal hatte sie versucht, sich bei Drwyn zu beschweren, aber er hatte ihr kaum zugehört. Inzwischen lag der Schnee so hoch, dass die Männer nicht mehr auf die Jagd gehen konnten. Drwyns einziges Interesse galt seitdem ihrem wachsenden Bauch, den er gern streichelte und mit dem er redete, als ob das Kind darin ihn hören könnte. Er war noch immer davon überzeugt, dass sie ihm einen Sohn schenken würde, während sie sich immer sicherer war, dass es eine Tochter sein würde. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, sah sie Farben im Geist des schlafenden Kindes, und sie reagierten auf Teias Berührung genauso, wie ihre eigene Kraft auf Anforderung in ihr aufstieg. Es war ein Mädchen. Und deshalb würde spätestens beim Dreimond des Sommers ihr Ende gekommen sein.
»Pass auf, Teia!«, fuhr Ytha sie an.
Teia zuckte zusammen und erkannte, dass die Flamme auf ihrer Hand bereits so hoch loderte, dass sie die Wandbehänge bedrohte. Bei Machas Ohren, sie musste sich besser konzentrieren! Rasch senkte sie die Flamme zu einer bescheideneren Größe. Die große Hitze stach ihr in die Handfläche.
»Es tut mir leid, Sprecherin. Ich war unaufmerksam. Beim nächsten Mal werde ich es besser machen.«
»Das will ich hoffen.« Ytha verzog die Lippen. »Ich habe zugestimmt, dich zu unterrichten, und nicht vor dir zu sitzen und Däumchen zu drehen, während du dich deinen Tagträumen hingibst.«
Eine weitere Flamme züngelte auf, diesmal aber in Teias Innerem. »Vielleicht würde ich mich besser konzentrieren, wenn Ihr mir etwas Neues beibrächtet!«
Teia schleuderte die Flamme beiseite, und sie erlosch. Die Sprecherin blinzelte sie an.
»Seit
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