Die Wildrose
drückte ihr langsam die Luft ab. Die Minuten vergingen, aber Willa antwortete nicht. »Ich frag dich jetzt ein letztes Mal«, sagte er. Dann hob er die Pistole, drückte ihr den Lauf ins Gesicht und spannte den Abzug.
»Ruhig, Billy, das ist nicht nötig«, sagte eine Stimme – eine Stimme aus Willas Albträumen. »Wir haben das doch besprochen. Kein Blut. Weder im Cottage noch draußen. Wir wollen nicht, dass die Polizei auf falsche Gedanken kommt. Das würde alles verderben.«
Nein, das ist er nicht, dachte Willa. Unmöglich. Das ist ein Wahngebilde. Wegen des Sauerstoffmangels. Oder Albie hat doch recht. Und ich bin tatsächlich verrückt. Endgültig übergeschnappt.
Madden lockerte den Würgegriff etwas, und sie bekam wieder Luft. Sie blickte nach links zur Tür und sah einen großen, blonden Mann. Über eine Gesichtshälfte verlief eine Narbe. Die hatte sie ihm beigebracht.
» Namaste , Willa Alden«, sagte Max von Brandt und verbeugte sich leicht. »So sieht man sich wieder.«
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A ber ich hab dich doch getötet«, keuchte Willa verblüfft, unfähig, ihren Augen zu trauen. »In Damaskus.«
»Fast«, antwortete Max. »Aber nicht ganz. Ich würde dir raten, das nächste Mal gründlicher vorzugehen, aber ich fürchte, es wird kein nächstes Mal geben.«
Madden, der Willa immer noch an der Gurgel gepackt hielt, schwang die Pistole herum und zielte auf Max. »Wieso bist du aus dem Wagen ausgestiegen? Keine Bewegung! Nur die geringste Bewegung, von Brandt, und ich knall dich ab!«
»Ruhig, Billy«, wiederholte Max, als würde er einem wilden Tier gut zureden. »Sie und Bennie haben Waffen, nicht ich. Richtig?« Langsam hob er die Hände, um Madden zu zeigen, dass er unbewaffnet war.
»Wo ist Bennie?«
»Bennie ist draußen. Er hat mir gesagt, ich soll Sie holen. Er hat den Jungen. Er liegt gefesselt im Wagen. Fertig zur Abfahrt.«
»Nein«, sagte Seamie benommen und versuchte aufzustehen. »Ihr lasst ihn frei …« Blut tropfte aus einer Wunde an seiner Lippe. Willa sah die Angst in seinen Augen. Sie versuchte, von Madden loszukommen. Er drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand.
»Max, du Mistkerl!«, schrie sie. »Wie kannst du das tun? James ist ein Kind! Ein unschuldiges Kind. Und du lieferst ihn einem Verbrecher aus. Einem Mörder!«
Madden schlug ihr die Pistole ins Gesicht. Zu Max sagte er: »Du kennst sie?«
»Sehr gut sogar«, antwortete Max. Er hatte zwei Seile bei sich.
»Ich schlag vor, wir machen die beiden kalt. Jetzt gleich«, sagte Madden.
»Nein«, widersprach Max.
Als Seamie sich, noch immer benommen, hochzurappeln versuchte, presste ihm Max einen Fuß in den Rücken, ergriff seine Hände und fesselte sie. Dann fesselte er Willas Hände.
»Ich habe Ihnen doch schon erklärt, Billy«, sagte er, als er fertig war, »hier muss alles sauber und ordentlich bleiben, sonst sucht jeder Polizist im Land nach dem Jungen. Erinnern Sie sich, Billy? Erinnern Sie sich, was ich Ihnen gesagt habe?«
Billy nickte. Willa warf einen verstohlenen Blick auf ihn. Seine Augen wirkten dunkel und leer. So sieht Wahnsinn aus, dachte sie. Er hätte sie beide getötet, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, wenn Max ihn nicht aufgehalten hätte. Aber warum hatte er das getan? Sie sollte es bald herausfinden.
»Ein Mantel am Flussufer – von Captain Finnegan«, sagte Max zu Billy. »Ein Wanderstock. Feldstecher. Eingebrochenes Eis. Es wird aussehen, als hätten Captain Finnegan und sein Sohn eine Winterwanderung gemacht. Als sei James zu weit aufs Eis hinausgelaufen. Und eingebrochen. Sein Vater versuchte, ihn zu retten, was ihm nicht gelang. Er war zu schwach aufgrund seiner Verletzungen. Beide ertranken …«
»Nein!«, rief Willa und unterbrach Max. »Das wird nicht funktionieren. Mein Bruder … meine Tante … sie wissen Bescheid …«
Ein harter Schlag von Max brachte sie zum Schweigen. Billys Blick flackerte unsicher zwischen Willa und Max hin und her, aber Max fuhr mit ruhiger und gemessener Stimme fort, völlig unbeeindruckt von Willas Einwand: »Achten Sie gar nicht auf sie, Billy. Sie ist die schlaueste Lügnerin, die mir je untergekommen ist, und mir sind einige begegnet. Es wird funktionieren. Es wird furchtbar tragisch aussehen, Billy, vor allem wenn man bedenkt, was Captain Finnegan schon alles durchgemacht hat. Seine Leiche wird man flussabwärts finden. Im Frühling. Den armen James leider nicht. Man wird sagen, dass ihn die Strömung fortgerissen hat, doch in
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