Die Yoga-Kriegerin
Mit sechs Jahren hatte ich bereits die Nase voll von Leuten, die mir sagten, wie wunderbar meine Mutter sei und was für eine hart arbeitende Lehrerin sie doch sei. Einmal hat sie sogar einen Golden Apple Award , eine Auszeichnung für Pädagogen, für ihre Bemühungen gewonnen. Immer wenn ich im Büro des Direktors zusammengestaucht wurde, weil ich meine Klappe zu weit aufgerissen hatte, warnte dieser mich vor den »Auswirkungen meines Verhaltens auf den Ruf meiner Mutter«. Sie unterrichtete Kinder in meinem Alter, und ich konnte mir ausmalen, wie sie gar so nett zu ihnen war, aber wenn sie nach Hause kam, war es, als ob sie das bisschen, was sie aufbieten konnte, bei der Arbeit gelassen hätte und für mich nur noch Drohungen und Prügel übrig hatte. Ich konnte es nicht mehr hören, dass mein Vater für seine Verdienste als Sozialarbeiter gepriesen wurde, Kindern zu helfen, in Pflegefamilien zu kommen, so engagiert das Schicksal anderer zu verbessern. Hinter verschlos senen Türen schritt er niemals ein, wenn meine Mutter ihre Tobsuchtsanfälle bekam oder hinter mir her war. Das Leben zu Hause war insgeheim eine Hölle – so kam es mir zumindest vor.
Maya war eine stille, aber machtvolle Zeugin all dessen. Als schlanke Afroamerikanerin mit kurz geschorenem Haar stand Maya nicht darauf, Zuneigung zu zeigen, obwohl sie hin und wieder ihren Arm um meine Schulter legte. Meistens stand sie einfach nur mit mir in der Küche, mit eiskalter Miene und ausdruckslos, während meine Eltern im Nebenzimmer einen ihrer lautstarken Kämpfe aus fochten. Sie konnte nicht dazwischentreten und mich verteidigen, wenn mich meine Mutter angriff, aber was sie davon hielt, sagte sie mir hinterher, indem sie meine Mutter einen tollwütigen Hund und ein Miststück nannte.
Sicher, einige mögen jetzt denken, dass es keine gute Idee war, einer Sechsjährigen Zigaretten zu geben, aber für diese Rauchpausen mit Maya hätte ich alles gegeben. Sie waren die einzigen ehrlichen Diskussionen, die ich je als Kind hatte, und Maya war die einzige Erwachsene, die mir ein Gefühl der Sicherheit gab. Während sie dabei zusah, wie sich der Schmutz immer zwischen ihren Putzbesuchen anhäufte, wie die Streitereien meiner Eltern zunehmend bösartiger wurden und der allgemeine Grad des Wahnsinns in meinem Zu hause immer schlimmer wurde, runzelte Maya die Stirn ihres run den Gesichts und flüsterte: »Du bist nicht verrückt; die sind ver rückt.« Vielleicht war ich doch keine böse Satansbrut, wie meine Mama immer sagte. Maya gab mir Ratschläge, wie ich mit dem Le ben zu Hause fertigwerden konnte, aber wichtiger noch, sie hörte mir einfach nur zu. Ich erinnere mich noch an den Nikotinrausch, den ich immer damit in Verbindung brachte, wie ich meine Schutzschilde herunterließ. Nach all diesen Lügen war es eine herrliche Erlösung zu hören, wie Maya die Wahrheit aussprach. Jahre später, als ich das erste Mal mit der Medizin der Ureinwohner Nordamerikas zu tun hatte und lernte, wie man Tabak für das Beten, für das aufrichtige Miteinandersprechen, verwendet, musste ich lachen: Maya mit ihren Zigaretten war meine erste Medizinlehrerin gewesen.
Maya war meine erste Wahrheitssprecherin , sie war eine Frau, die ganz aus ihrem Herzen sprach und mit großem Mitgefühl die Wahr heit sagte. Ich fragte mich, ob mir das, was ich von Maya gelernt hatte, bei den Kids im Stall helfen würde. Ich sehnte mich nicht unbedingt nach Freundschaften, einfach nur nach einer Art Interaktion. Die anderen Stallhelfer – Außenseiter der Gesellschaft wie ich – waren alle im Teenageralter und um die zwanzig, randalierten, ver prügelten einander, knackten Schlösser und schlossen Autos kurz, galoppierten mit den Mietpferden hinaus auf einen nahe gelegenen Golfplatz und zertrampelten den Rasen. Ich war sechs Jahre jünger als das nächstältere Kind und daher war ich immer eine verlässliche Zielscheibe für ihre üblen Scherze. Die älteren Kinder stahlen Al ko hol und Drogen und fanden es amüsant, sie mir zu geben. Ich war für sie ihr Maskottchen, ein Wegwerfspielzeug – etwas, was man in den scharfkantigen Pferdetrog werfen oder vom Heuhaufen runterschubsen konnte. Aber sie waren alles, was ich hatte. Ich versuchte, mir einen Platz in der Bande zu sichern, indem ich noch wilder und unberechenbarer wurde als sie, eine Art irrer Harlekin, der die größten Wagnisse einging und niemals eine Herausforderung scheute.
Aus irgendeinem Grund jedoch spürten diese viel
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