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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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den Hof gelaufen kam. Peter war schon mit seiner Eskorte in unser Lager in der Nähe der Schiffe zurückgeritten. Ich selber drehte den großen Schlüssel in dem Tor, daß sich mit einem satten Schmatzen hinter uns schloß, in seinem Schloß um. Ich ließ durch Wolynski eine alte Frau bezahlen, die Maria Kantemir durch eine Klappe im Eingangstor schlichte Speisen und Wasser zuschob. Wenn die Speisen an der Pforte des Hauses eines Tages nicht mehr angerührt werden, so sollte das Haus in Astrachan in Brand gesteckt werden. Ich hoffte aber, daß sie lange lebt und bei guter Gesundheit ist.
     
    Erst im Herbst des darauffolgenden Jahres sollte der Krieg gegen Persien sein Ende finden: Alexander Danilowitsch Menschikow gab an einem Abend im September ein prächtiges Kostümfest in seinem Palast. Peter trug die rubinrote Robe eines Kardinals, während ich mich unter dem mit Diamanten und Gold bestickten Gewand einer venezianischen Kurtisane kaum rühren konnte. Ein Bote unterbrach die Feierlichkeiten mit der Nachricht von dem Sieg des Generals Matjuschkin bei Baku. Peter zog sich mit seinem Alekascha in dessen private Gemächer zurück. Als beide wieder erschienen, trugen sie die dunkelgrüne Uniform des Preobraschenskoje-Regiments mit ihrem Sankt-Andreas-Orden auf der Brust. Menschikow verkündete den Sieg durch den Jubel und das Klirren hindurch, mit dem zahllose Säbel die Korken von den Flaschen mit französischem Perlwein schlugen. Nur einige Augenblicke später begannen alle Glocken der Stadt zu läuten. Peter griff zur Trommel und schlug sie ruhelos die gesamte Nacht hindurch, während ich ihm Humpen um Humpen nachschenkte. Noch vor Mitternacht waren über tausend Flaschen Perlwein geleert.
    Das einzige friedvolle Jahr unter Peters Herrschaft brach an.
     

9. Kapitel
     
     
    Ich versuchte, dem Mann ins Gesicht zu sehen.
    Alles, was ich jedoch erkennen konnte, waren sein krummer Buckel und seine groben, rotgearbeiteten Hände. Er hatte sie flehentlich vor uns auf dem Marmorboden des kleinen Empfangssaales ausgestreckt. Das Hemd, das er am Leib trug, war an vielen Stellen geflickt, und ich konnte Krätze an seiner Kopfhaut entdecken. Seine Füße, die in mit Stroh ausgestopften Lederlappen steckten, zitterten vor Angst. Der Blick flog ungläubig über alles in diesem Raum. Zwischendurch blieb er immer wieder an mir hängen.
    Peter begann neben mir mit seinen Fingern ungeduldig auf die Armlehne seines Stuhles zu trommeln. »Und? Kennst du ihn? Oder hat der Hund gelogen? Wenn du ihn nicht kennst, dann lasse ich ihm für seine Frechheit die Zunge ausbrennen«, sagte er und betrachtete gelangweilt das Schwarze unter seinen Fingernägeln. Seine dubina lag untätig auf seinem Schoß.
    Der Mann vor uns heulte bei diesen Worten vor Angst auf und krümmte sich noch mehr zusammen.
    »Laß mich dir ins Gesicht sehen, Fjodor Skawronski«, sagte ich mit sanfter Stimme, um ihn zu beruhigen. Er gehorchte zögerlich und hob den Kopf. Ich stand auf, schritt die wenigen Stufen zu ihm hinunter und ging neben ihm in die Knie. Die Soldaten, die ihn bewachten, spannten ihre Glieder an. Sollte es notwendig sein, wollten sie mir augenblicklich zu Hilfe eilen. Außer ihnen und Peter waren nur noch Elisabeth, Anna und Wilhelm Mons im Raum. Ohne ihn tat meine Tochter kaum noch einen Schritt.
    Ich legte meine Hand weich auf sein Haar. Der Mann zitterte am ganzen Leib, doch er wich meinem Blick nicht aus. Meine Augen saugten sich an jedem seiner Züge fest. Ja, er konnte die Wahrheit sagen. Oder auch nicht. »Sagst du die Wahrheit, Mann?« fragte ich leise. Ich ärgerte mich, daß meine Stimme bei diesen wenigen Worten vor Rührung zitterte. Er nickte stumm. Als er zu sprechen anhob, sah ich, daß er anstatt seiner Zähne nur einige faule gelbe Stummel im Mund hatte. Dabei mußte er doch jünger sein als ich. Seine Stimme jedoch klang rauh und fest: »Ich schwöre es bei Gott dem Allmächtigen, Martha: Ich bin dein Bruder Fjodor.«
     
    Der Mann arbeitete als Postkutscher auf der Straße zwischen Sankt Petersburg und Riga. Als Kind war er zusammen mit dem Gepäck auf das Dach der Karren und Kutschen geschnallt worden. Dort mußte er auf die Ladung achtgeben oder nach Halunken und Hindernissen Ausschau halten. Im Sommer war er dort der gnadenlosen Sonne und dem heißen Wind ausgesetzt. Im Frühjahr und im Herbst ging der Sturmregen auf ihn nieder, und im Winter fror er an seinem Sitzplatz fest.
    Er hatte sich mit einem anderen Reisenden

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