Die Zarin (German Edition)
werden – du wirst sie brauchen!« Dann griff sie mich an den Schultern.
»Diese Nacht, Martha, wird für immer unser Geheimnis bleiben. Solltest du je darüber sprechen, was geschehen ist, soll der Teufel dich zu sich in die Hölle holen, dir Ohren, Nase und Hände abschneiden und dich bei lebendigem Leibe rösten!«
Ich nickte wieder und konnte ob des grausamen Schwures nichts sagen. Sofia machte mir in ihrer Bestimmtheit Angst, und ich wollte nun schnell gehen. Sie jedoch küßte mich erst auf die Stirn, ehe sie die schwere Haustür entriegelte. Ein kalter Windstoß ließ mich trotz des Mantels und der Stiefel erschauern, und ich wich in den Gang zurück.
Sofia jedoch schob mich entschlossen über die Schwelle. Hinaus, in die Dunkelheit. »Die Fuhrwerke stehen am Stadttor! Nach Marienburg!« wiederholte sie bestimmt. Ihr Ton duldete keinen Widerspruch. »Geh jetzt! Leb’ wohl – und gib’ auf dich acht! Fürchte nicht den Teufel, sondern die Menschen!«
Dann schloß sich die Tür zu Wassilis Haus für immer hinter mir.
Ich stand allein mit meinem Leben in der Dunkelheit. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, so daß ich keine Sterne sehen konnte. Schemenhaft konnte ich die Mauer und den Stall ausmachen, in dem Grigori am Morgen gestorben war. War es wirklich erst am Morgen gewesen? Es schien ein Leben her zusein! Ich stieg vorsichtig die dick vereisten Holzstufen bis in den Hof hinab. Es begann wieder zu schneien, als ich den schweren Eisenriegel vor dem Tor zurückschob und auf die Straße hinausstapfte. Dicke Flocken fielen vor meinem Gesicht und blieben an meinen Wimpern hängen. Die Tränen froren auf meinem Gesicht zu Eis. Ich hörte auf zu weinen, denn das verschwendete nur meine Kraft. Der frische Schnee füllte meine Fußspuren rasch wieder auf. Es war, als sei ich nie hiergewesen.
Als ich endlich ans Stadttor gelangte, waren meine Finger vor Kälte blau und starr gefroren, und ich konnte auch meine Lippen kaum bewegen. Meine Hände waren tief in die Taschen meines tulup vergraben, aber es half nichts. Ich dachte an Grigoris abgefrorene Zehen und bewegte die meinigen in den schweren Stiefeln fleißig hin und her.
Vor den Mauern herrschte schon ein geschäftiges Treiben. Schwere Rösser schnaubten in ihrem Geschirr und scharrten mit ihren Hufen im Schneematsch. Fackeln flackerten im eisigen Wind, und das Pech ihrer Flammen zischte unter den dicht und feucht fallenden Schneeflocken. Männer hievten Ballen und Bündel auf die Fuhrwerke: Sie schrien sich gegenseitig Befehle zu und schwitzten sich trotz der bitteren Kälte naß.
Ich bemerkte die schwedischen Soldaten, die scheinbar gelassen auf ihren Waffen lehnten und das Geschehen überwachten. Sie froren in ihren Uniformen und wärmten sich die Hände über offenen Lagerfeuern. August von Sachsen hatte Schweden vor einigen Wochen den Krieg erklärt, und an der Grenze zwischen Kurland und Livland war es bereits zu Auseinandersetzungen gekommen. Der Kurfürst hatte wiederholt versucht, Riga einzunehmen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er in Livland einfiel. Wir wußten, daß er nur dem Namen nach König von Polen war, eine Puppe in des Zaren Hand. Aber er hatte ein Heer und ein Bündnis mit Christian von Dänemark und dem Zaren von Rußland in seinem Rücken: Die Stimmung in Walk war in den ganzen letzten Wochen unruhig und abwartend gewesen.
An der Mauer vor den Fuhrwerken verkauften einige alte Frauen unseren heißen, bitteren Tee, den tschai , den sie in verbeulten und vom Rauch geschwärzten Kesseln über einem Bett aus glühenden Kohlen warm hielten. Ich sah in einen der Kessel – die schwarzen, groben Teeblätter trieben in Strudeln auf der Brühe, und man mußte den tschai durch die Zähne schlürfen, um sie auszusieben. Dazu buken die Weiber auf flachen verbeulten Pfannen warme Fladen und belegten sie sparsam mit Pökelfleisch und Sauerkraut. Ich wurde vor plötzlichem Hunger fast ohnmächtig, als ich das Essen sah, und kaufte ihnen von beidem etwas ab. Schließlich brauchte ich jetzt alle Kraft! Als ich eine der Münzen aus meiner Tasche zog, musterten sie mich kurz und erstaunt. Ich sah nicht so aus, als ob ich einfach so viel Geld mit mir herumtrug. Es war ein Fehler gewesen, das Geld nicht vorher im Licht einer Fackel zu zählen. Doch ich hatte Angst, man könnte es mir aus der Hand schlagen. Es gab hier jede Menge Lumpen und Tagediebe, die in der Dämmerung und dem Getümmel nur auf ihre Gelegenheit warteten.
Ich kaute
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