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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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Wahrlich eine Welt der Zwietracht.
    Eine Weile flogen sie still nebeneinander her, bis Raphael plötzlich wortlos nach unten stieß und zur Landung ansetzte. Lilith ließ sich ebenfalls fallen und setzte kurz darauf sanft neben ihm auf. Sie standen auf einem schmalen Pfad, der durch eine schroffe und hügelige Landschaft führte. Hier wuchs nichts, weder Baum noch Blume. Unter den Steinen versteckten sich keine Tiere und allein die allgegenwärtige aggressive Geräuschkulisse gab diesem Ort etwas Lebendiges und doch zugleich zutiefst Bedrohliches. Raphael stand einige Meter von ihr entfernt und beugte sich über etwas, das auf dem Weg liegen musste. Neugierig trat Lilith näher.
    „Was hast du da?“
    „Sieh es dir an“, erwiderte Raphael und trat ein Stück zur Seite.
    Lilith zuckte erschrocken zurück, als sie die toten Körper auf dem Weg entdeckte. Mehr als zwanzig Leichen lagen dort im Staub, die meisten grausam entstellt und förmlich zerrissen. Doch das eigentlich Erstaunliche war, dass es sich nicht um Menschen handelte. Es waren Akoloythoi und es konnte keinen Zweifel daran geben, dass dies nicht die Tat eines Menschen war.
    „Was ist hier geschehen?“, hauchte Lilith.
    „Ich weiß es nicht. Aber es hat sicher etwas mit Eleanor zu tun.“
    „Eleanor? Aber sie könnte doch niemals…“
    „Natürlich nicht! Die Akoloythoi können sie nicht berühren, aber etwas Derartiges könnte Eleanor niemals bewirken!“
    „Aber wer… wer könnte denn…“
    „Ein Engel! Dies ist die Tat eines Engels! Und er muss sehr zornig gewesen sein!“
    Lilith sah ihn fassungslos an.
    „Aber dann muss er auf Seiten Eleanors gestanden haben. Er muss in ihrem Sinne gehandelt haben, denn die Akoloythoi könnten niemals auf ihrer Seite sein.“
    Raphael zögerte. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht war er auch zornig, weil seine Diener sie haben entkommen lassen.“
    Lilith nickte. „Möglich. Wenn diese Theorie stimmt, ist Eleanor vielleicht noch immer auf dem Weg vor uns.“
    Die beiden sahen sich kurz an. Dann breiteten sie wieder ihre Flügel aus und erhoben sich erneut in die Luft. In wenigen Augenblicken hatten sie den fünften Höllenkreis weit unter sich gelassen und steuerten nun auf den Grenzfluss zum vierten Kreis zu. Sie behielten den schmalen Weg unter sich genauestens im Auge, doch es war mehr als offensichtlich, dass dieser Teil der Hölle vollkommen ausgestorben schien. Sie sahen keine gefangenen Sünderseelen unter sich, keine Akoloythoi und keine Engel.
    Nachdem sie schon länger als eine Stunde so geflogen waren, konnte Lilith ihre Zweifel nicht länger für sich behalten.
    „Wie kann es sein, dass unter uns alles so leer ist?“, fragte sie. Müsste dieser Teil der Hölle nicht vollkommen überfüllt sein?“
    „Ja. In den letzten Stunden müssen hier bemerkenswerte Dinge geschehen sein. Ich kann es mir nur so erklären, dass hier eine Jagd stattgefunden hat. Die Jäger sind weitergezogen und all jene, die normalerweise diese Landstriche bevölkern, haben sich in Sicherheit gebracht und sind geflohen.“
    „Eine Flucht aus der Hölle?“
    Raphael lachte gezwungen auf. „Nein. Der Hölle entflieht niemand. Aber da die Akoloythoi offenbar alle abgezogen wurden, sind die Verdammten innerhalb ihres Höllenkreises in vermeintlich ungefährlichere Gegenden geflüchtet. Denk an Ibrahim und seine Gruppe. Sie glauben, dass sie sich in Felsspalten und verborgenen Höhlen verstecken könnten, aber die Wirklichkeit wird sie bald einholen.“
    Lilith nickte. An einem Ort wie diesem gab es keine Sicherheit, doch wer seit Ewigkeiten hier zu leben gezwungen war, musste diese ungewöhnliche Situation als Wink des Schicksals begreifen. Wer jetzt nicht floh und zumindest für kurze Zeit den Höllenqualen der Akoloythoi zu entkommen suchte, würde das mit Sicherheit bereuen.
    Vor ihnen kam am Horizont ein schmales, schwarzes Band in Sicht. Das musste der nächste Grenzfluss sein, der sie in den vierten Höllenkreis führen würde.
    „Glaubst du, dass Eleanor diesen Kreis verlassen hat?“, fragte Lilith Raphael.
    „So leer wie es hier ist, glaube ich, dass die Jäger gründlich vorgegangen sind“, erwiderte dieser. „Vermutlich sind sie irgendwo vor uns und Eleanor ist wiederum vor ihnen. Zumindest hoffe ich es.“
    Wenige Minuten später überflogen sie den schwarzen Grenzfluss und befanden sich nun über dem vierten Kreis der Hölle. Schlagartig verstummte das elektrische Summen in ihren Ohren, doch

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