Die Zeit-Odyssee
Gastfreundschaft des
mazedonischen Lagers in Anspruch genommen. Immerhin waren
Alexanders Handlungen nur das Finale einer Reihe von tagelangen
Opferungen und Feiern, von musikalischen Festen und athletischen
Wettkämpfen. Am Vorabend hatte der König jeder Einheit
ein Opfertier zum Geschenk gemacht – ein Schaf, eine Kuh
oder eine Ziege. Was es wohl, meinte Bisesa, zum
größten Grillfest der Geschichte machte…
Ruddy Kipling, das breite Gesicht von einer Schirmmütze
geschützt, zupfte irritiert an den Enden seines
Schnurrbarts. »Welche Torheit doch das menschliche Hirn
durchgeistert! Als kleiner Junge nahm mich meine Ayah, eine Katholikin, zusammen mit den anderen Kindern immer in die
Kirche mit – diejenige bei den Botanischen Gärten in
Parel, falls Sie sie kennen. Die Feierlichkeit und
würdevolle Art des Ganzen dort hat mir ungemein gefallen.
Außerdem hatten wir einen Träger namens Meeta, der uns
die Lieder des einfachen Volkes beibrachte und uns in die
Hindutempel schleppte. Und die düsteren, aber freundlichen
Götter darin mochte ich auch sehr gern.«
»Eine in ökumenischer Hinsicht interessante
Kindheit«, stellte Abdikadir trocken fest.
»Mag sein«, sagte Ruddy. »Doch Dinge,
Gruselmärchen, die man kleinen Kindern erzählt, sind
eine eigene Sache – aber das groteske Hindupantheon ist
auch kaum mehr als das: scheußlich und geistlos und dazu
durchsetzt mit obszönen phallischen Symbolen! Und was ist es
anderes als ein Abklatsch dieser absurden Schar, an die Alexander
nun guten Wein vergeudet – und für ein Mitglied derer
er sich doch tatsächlich hält?«
»Ruddy, wenn du in Rom bist, tu es den Römern
gleich«, sagte Josh.
Ruddy schlug ihm auf die Schulter. »Aber hier ist weit
und breit von Rom noch nichts zu sehen, mein Bester! Was soll ich
also tun, eh? Eh?«
Schließlich fanden die Zeremonien ein Ende. Bisesa und
die anderen machten sich auf den Weg zu den Booten, die sie zu
den Schiffen bringen würden. Zusammen mit einem
Großteil der britischen Truppen und der Hälfte von
Alexanders Armee sollten sie mit der Flotte segeln, während
die restlichen Soldaten der Küste folgen würden.
Das Lager wurde abgebrochen, und der Tross begann sich zu
formieren. Es war ein chaotischer Anblick, wie tausende
Männer, Frauen und Kinder, Maulesel, Ochsen, Ziegen und
Schafe ziellos durcheinander liefen. Dazwischen standen Karren,
beladen mit Werkzeugen und Materialvorräten der Köche,
Zimmerleute, Schuster, Waffenschmiede und anderer Handwerker und
Händler, die dem Heer folgten. Dazu kamen rätselhaft
erscheinende Holz- und Eisenteile – die zerlegten Katapulte
und Belagerungsmaschinen. Prostituierte und Wasserträger
drängten sich durch die Menge, und über allem sah
Bisesa die hochmütig über das Gewühl zu ihren
Füßen hinwegblickenden Köpfe von Kamelen.
Der Krach war furchterregend, ein Gelärm aus Stimmen,
Schellen und Trompeten und den Protestlauten der Zugtiere. Die
Anwesenheit der konfusen Affenmenschen, die in ihrem auf einem
Karren festgezurrten Käfig gefangen waren, trug nur noch
weiter zur Zirkusatmosphäre der ganzen Szenerie bei.
Die kleine Gruppe von Neuzeitmenschen stand beisammen und
verfolgte staunend die Vorgänge. »Was für ein
hysterischer Ameisenhaufen«, bemerkte Casey. »Hab
noch nie im Leben ein solches Chaos gesehen.«
Dennoch, auf irgendeine Weise kam Ordnung in die Sache. Die
Bootsführer brüllten, und die Riemen senkten sich ins
Wasser. Und zu Lande und zur See stimmten Alexanders Gefolgsleute
rhythmische Gesänge an.
»Die Lieder der Sindi«, erklärte Abdikadir,
»ein herrlicher Klang – zehntausende Stimmen
vereint!«
»Kommt jetzt«, sagte Casey, »gehen wir an
Bord, bevor uns diese Sepoys die besten Liegestühle
wegschnappen!«
Der Plan sah vor, dass die Flotte das Arabische Meer in
westlicher Richtung durchqueren und dann in den Persischen Golf
segeln sollte, während ihr das Landheer und der Tross die
Südküste von Pakistan und Iran entlang folgen
würde. Am oberen Ende des Golfes würden sich alle
wieder vereinigen und auf dem Landweg nach Babylon ziehen. Diese
parallelen Routen waren notwendig, denn Alexanders Schiffe
konnten nur wenige Tage ohne Versorgung von Land auskommen.
Doch an der Küste war das Vorankommen beschwerlich. Der
seltsame vulkanische Regen fiel nahezu ohne Unterlass, und der
Himmel lastete wie eine aschgraue Decke über allem. Der
Untergrund
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