Die Zeit-Odyssee
lauernde Präsenz – das Gefühl, in einer
riesigen Kathedrale aus Wachsamkeit zu stehen, die einen
unwiderstehlich hochzog. Aber Bisesa wusste nicht, woher dieses
Gefühl kam, beobachtet zu werden. Sie schüttelte heftig
den Kopf, und etwas von diesem mysteriösen Erahnen einer
fremden Präsenz verflüchtigte sich.
Mit finsterer Miene sagte Eumenes: »So wissen wir nun
also, wie Babylon zerstört wurde.« Zu Bisesas
Verblüffung hob er einen goldenen Stab vom Boden auf, hob
ihn über den Kopf wie einen Knüppel und schmetterte ihn
mit aller Kraft gegen das teilnahmslose Auge. Der Stab war
verbogen, das Auge ohne Makel. »Nun«, fuhr Eumenes
fort, »dieser hochmütige Gott des Auges könnte
eines Tages noch herausfinden, dass Alexander, Sohn des
Zeus-Ammon, ein stärkerer Gegner ist als Marduk!« Er
wandte sich an seine Begleiter aus der Moderne. »Es gibt
viel zu tun. Ich werde Ihrer Hilfe und Weisheit
bedürfen.«
Abdikadir sagte: »Wir sollten die Stadt als
Stützpunkt benutzen…«
»Das liegt auf der Hand.«
»Die Armee sollte in der Stadt zusammengezogen werden.
Wir müssen an die Versorgung mit Wasser und Nahrung denken.
Und es müssen Routinedienste wie Brandwarte, Wachpatrouillen
und Bautrupps für Instandsetzungsarbeiten zusammengestellt
werden.«
»Wenn der ganze Wohnbezirk der Stadt zerstört
ist«, bemerkte Josh, »liegt eine Menge
Wiederaufbauarbeit vor uns.«
»Ich denke, wir werden noch eine ganze Weile in Zelten
hausen«, sagte Abdikadir wehmütig.
»Wir senden Kundschafter aus, um die Umgebung der Stadt
zu kartografieren«, sagte Eumenes. »Und wir werden
die Bauern überreden, ihre Lehmhütten zu verlassen.
Oder wir übernehmen ihre Felder und bewirtschaften sie
selbst. Ich weiß nicht mehr, ob Sommer oder Winter ist,
aber hier in Babylonien können wir das ganze Jahr über
Ernten haben.« Er warf einen Blick hinauf auf das
teilnahmslose Auge. »Alexander hatte stets vor, diesen Ort
zur Hauptstadt seines Reiches zu machen. Nun, so soll er es
werden – vielleicht sogar die Hauptstadt einer neuen
Welt…«
Casey kam mit grimmiger Miene durch die Tür gehumpelt.
»Wir haben eine Nachricht.«
Bisesa erinnerte sich an die Uhrzeit; es war die Stunde, zu
der sein täglicher Versuch, die Funksignale der Kosmonauten
aufzufangen, fällig war. »Von den
Raumfahrern?«
»Allerdings.«
»Na wunderbar!«
»Nein, keineswegs. Es kommen Schwierigkeiten auf uns
zu.«
{ 31 }
DAS AMATEURFUNKGERÄT
Kolja hatte sichergestellt, dass sich unter den Dingen, die
ihm die Mongolen als Reisegepäck für den
transkontinentalen Treck zugestanden hatten, auch das
Funkgerät von der Sojus befand. Irgendein Instinkt hatte ihn
bisher dazu bewogen, den Umstand, dass er es besaß, selbst
vor Sable geheim zu halten. Aber sie hatte ohnehin längst
das Interesse an ihren ursprünglichen Plänen verloren,
und darüber war er jetzt froh. Und als nun Dschingis Khan
einige Dutzend Kilometer vor Babylon das Lager aufschlagen
ließ, holte Kolja das Gerät hervor und stellte es
auf.
Seltsamerweise war dies nicht besonders schwierig. Die
mongolischen Wachen in Yeh-lüs Gefolge waren höchst
aufmerksam, aber sie hatten keine Ahnung, was Kolja mit den
sonderbaren Kästchen und Kabeln und spinnenbeinigen Antennen
wollte. Schwieriger – und lebenswichtiger – war es da
schon, sein Vorhaben vor Sable zu verheimlichen, wenigstens
für ein paar Stunden.
Er ahnte, er würde nur einen einzigen Versuch haben. Er
betete um eine halbwegs brauchbare Übertragungsqualität
und um Caseys Empfangsbereitschaft. Nun, die Qualität war
schlecht – durch die Diskontinuität schien die
Ionosphäre gelitten zu haben, und das Signal wurde durch
statische Störungen, Knacken und Knistern undeutlich
gemacht. Aber Casey hörte tatsächlich zu, genau zu der
Uhrzeit, die sie vereinbart hatten, als Kolja noch die Erde in
der Sojus umkreiste – in jener unvorstellbaren und für
immer verlorenen Vergangenheit. Es überraschte Kolja nicht
zu hören, dass Casey und die anderen nach Babylon gezogen
waren; es erschien ein durchaus logisches Reiseziel, und
über diese Möglichkeit war schon gesprochen worden, ehe
die Sojus den Orbit verlassen hatte. Aber es verschlug ihm kurz
die Sprache, als er hörte, in welcher Begleitung Casey
gereist war. Dennoch regte sich in ihm etwas wie Hoffnung, denn
vielleicht gab es auf diese Weise doch eine Macht auf der Welt,
die Dschingis Khan
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