Die Zeit-Odyssee
abgeschlagenen
Gliedmaßen und verwundeten Pferden zurück.
Ein paar hundert Meter von der Stellung der Mazedonier
entfernt hielten die Mongolen in loser Aufstellung inne. Sie
schrien Flüche oder Schmähungen in ihrer
unverständlichen Sprache herüber, schossen ein paar
Pfeile ab und spuckten sogar Richtung Gegner. Einer von ihnen
hatte einen unglücklichen mazedonischen Fußsoldaten
mitgezerrt, und nun fing er mit zynischer Sorgfalt an, dem
lebenden Mann den Leib zu öffnen und Organe
herauszuschneiden. Die Mazedonier antworteten ihrerseits mit
Beschimpfungen, aber als eine Gruppe von ihnen mit hoch erhobenen
Waffen vorpreschte, erschollen umgehend gebrüllte Befehle,
die Stellung zu halten.
Unter unablässigen Schmähungen fuhren die Mongolen
fort, sich weiter zurückzuziehen, aber Alexanders Soldaten
wollten ihnen einfach nicht folgen. Und da die Kampfpause
anhielt, rannten die Krankenträger aus dem Tor der
Ischtar.
Der erste mazedonische Kämpfer, den man in Bisesas
Lazarett brachte, hatte eine Verwundung am Fuß. Ruddy half
ihr, den Bewusstlosen auf einen Tisch zu heben.
Jemand hatte den Pfeil zwar aus der Wunde gezogen, aber er war
direkt durch den Wadenmuskel hindurchgegangen und auf der anderen
Seite wieder ausgetreten. Es sah nicht so aus, als hätte er
einen Knochen verletzt, aber Fetzen von Muskelgewebe hingen aus
der offenen Wunde. Bisesa stopfte das Muskelgewebe zurück in
das Loch, verschloss es mit einem weingetränkten Lappen und
legte mit Ruddys tatkräftiger Hilfe einen Druckverband
an.
Der Soldat begann sich zu bewegen. Bisesa hatte natürlich
kein Anästhetikum, aber möglicherweise würden ja,
sobald er aus der Bewusstlosigkeit erwachte, Angst und Adrenalin
den Schmerz eine Weile unterdrücken.
Ruddy, dessen Hände beide beschäftigt waren, wischte
sich mit dem Ärmel seiner Jacke den Schweiß von der
breiten, blassen Stirn.
»Ruddy, Sie machen das genau richtig.«
»Ja… Und dieser Mann wird überleben, nicht
wahr? Und er wird hinausmarschieren, Schwert und Schild in den
Händen, nur um auf irgendeinem anderen Schlachtfeld zu
sterben!«
»Mehr als sie zusammenflicken können wir nicht
tun!«
»Gewiss…«
Aber sie hatten keine Zeit, keine Zeit. Der Mann mit der
Beinwunde war nur der Anfang einer Flut von Tragbahren mit
Verletzten, die mit einem Mal durch das Ischtar-Tor
hereinwogte.
Philipp, Alexanders Leibarzt, rannte dem Ansturm entgegen und
begann sofort, wie Bisesa es ihm beigebracht hatte, mit der
Einteilung in jene, denen geholfen werden konnte, und der
Aussonderung der Todgeweihten. Die Verwundeten schickte er sodann
an jenen Platz, wo ihre Behandlung stattfinden sollte.
Bisesa ließ den Mann mit der Beinwunde in das
angeschlossene Zelt für die Unterbringung der Verwundeten
bringen und griff nach der nächsten Trage der Reihe. Der
Mann darauf stellte sich als Mongolenkrieger heraus, der einen
Schwerthieb in den oberen Teil des Schenkels abbekommen hatte;
Blut strömte stoßweise aus einer Arterie. Bisesa
versuchte, die Wundränder zusammenzupressen, aber Hilfe
für den Mann kam ganz offensichtlich zu spät, denn das
Blut begann bereits langsamer und ohne sichtbaren Druck aus der
Wunde zu sickern.
»Dieser Mann hätte von vornherein gar nicht
hergebracht werden dürfen!«, sagte Ruddy.
Die Hände blutgetränkt und nach Atem ringend, trat
Bisesa einen Schritt zurück. »Wir können ohnehin
nichts mehr für ihn tun. Schafft ihn raus. Der
Nächste!«
So ging es weiter den ganzen Nachmittag hindurch – ein
nie enden wollender Strom verstümmelter, zuckender, sich
windender Körper –, und sie arbeiteten alle weiter,
bis sie einfach nicht mehr konnten, und dann arbeiteten sie
trotzdem weiter.
Abdikadir befand sich zusammen mit dem Heer vor den Mauern von
Babylon. Er war bereits dicht am Kampfgeschehen, als die
mazedonische Front plötzlich fast einzubrechen begann. Aber
er und die Briten – und Casey, der im Moment irgendwo
anders war – waren als Reservisten vorgesehen. Die
Feuerwaffen hielten sie unter den mazedonischen Umhängen
verborgen; ihre Stunde würde kommen, hatte Alexander
versprochen, aber noch war es nicht so weit, noch nicht.
Alexander und seine neuzeitlichen Berater verfügten zu
ihrer Unterstützung über die Perspektive eines anderen
Geschichtsverlaufs. Sie kannten die klassische mongolische
Kampftaktik. Der erste Ansturm war nichts als ein Scheinangriff
gewesen, nur dazu
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