Die Zeit-Odyssee
vor mitschleppten
– sie konnten schwerlich die Luke öffnen und alles
hinauskippen. Indem Kolja hier schlief, verschaffte er sich und
den anderen ein wenig mehr Platz – oder, besser gesagt, er
hielt damit drei auf Tuchfühlung zusammengepferchte, halb
übergeschnappte Kosmonauten davon ab, einander umzubringen.
Aber bequem war es nicht, und es stank immer noch nach dreckiger
Wäsche – nach »Kosakeneiern«, wie Sable es
formulierte.
Er ächzte und wand sich mühsam aus dem Schlafsack.
Er kämpfte sich bis zu der kleinen Toilette durch, klappte
sie aus der Wand und aktivierte die Pumpen, die alle
Ausscheidungsprodukte hinaus in die Leere des Weltalls
beförderten. Als die drei Kosmonauten erkannt hatten, dass
sie im Orbit feststeckten, mussten sie dieses kleine Klosett erst
unter den Haufen von Abfall hervorkramen; die Heimreise
hätte nur einige Stunden dauern sollen, und Pinkelpausen
waren nicht eingeplant. An diesem Morgen dauerte es eine ganze
Weile, bis er mit dem Urinieren fertig war; sein ganzer
Körper war ausgetrocknet, und der Harn war fast schmerzhaft
säurehaltig und so dickflüssig, als wollte er sich
dagegen wehren, Koljas Blase zu verlassen.
Er trug nur seine langen Unterhosen und merkte, wie er vor
Kälte zitterte. Um die Dauerleistung der Sojus zu
maximieren, hatte Musa angeordnet, dass nur die lebensnotwendigen
Systeme aktiv bleiben sollten, und zwar mit Minimalleistung. Also
war es im Innern des Raumschiffes zunehmend kälter und
feuchter geworden. Schwarzer Schimmelbelag bildete sich an den
Wänden, und durch das Fehlen der Schwerkraft war die immer
schlechter werdende Luft voller Staubteilchen, Hautschuppen,
Bartstoppeln und Essenskrümel. Die Augen der Besatzung waren
verklebt, und alle drei niesten andauernd. Am Vortag hatte Kolja
mitgezählt und herausgefunden, dass er in einer einzigen
Stunde zwanzigmal geniest hatte.
Der zehnte Tag, dachte er. Heute würden sie wiederum
sechzehn zwecklose Kreise um die Erde ziehen, was die
Gesamtsumme, seit die Raumstation von einem Augenblick zum
anderen aufgehört hatte zu existieren, auf hundertsechzig
brachte.
Kolja fixierte die Braslets an den Oberschenkeln. Diese
elastischen Bänder zur Vorbeugung gegen ein durch die
fehlende Schwerkraft gestörtes
Flüssigkeitsgleichgewicht waren eng genug, um das
Ausströmen von Flüssigkeit aus den Beinen
einzudämmen, ohne das Einströmen zu verhindern.
Er zog seinen Overall über – ein weiteres
Fundstück aus dem Abfallhaufen im Aufenthaltsteil. Dann
kletterte er hinunter durch die offene Luke in die
Landekapsel.
Weder Musa noch Sable sahen ihn an; alle drei hatten mehr als
genug vom Anblick der anderen. Kolja drehte sich in der Luft um
die eigene Achse und glitt mit lange trainierter Leichtigkeit auf
seinen Sitz an der linken Seite. Sobald er den Weg freigemacht
hatte, stieß sich Sable durch die Luke nach oben, und Kolja
hörte sie oben herumpoltern.
»Frühstück.« Durch die Luft schob Musa
Kolja ein Tablett zu, auf dem sich festgeklebte Tuben und
halbleere Büchsen mit Essen befanden. Der kleine Vorrat an
frischen Lebensmitteln war schon lange aufgebraucht, und sie
hatten die Notrationen angebrochen, die für die Zeit nach
der Landung gedacht waren: Dosen mit Fleisch und Fisch, Tuben mit
Gemüsebrei und Käse, und sogar ein paar Bonbons. Aber
diese Dinge waren nicht sehr sättigend. Kolja ließ den
Finger in jeder leeren Büchse kreisen und fing Krümel
aus der Luft.
Doch sie waren ohnehin nicht sehr hungrig, dafür sorgte
schon der ungewohnte Zustand der Schwerelosigkeit. Aber Kolja
vermisste die warmen Speisen, die sie zuletzt in der Raumstation
genossen hatten.
Musa bearbeitete bereits wie jeden Tag hartnäckig und
ohne Unterlass das Kommunikationssystem. »Stereo
Eins… Stereo Eins…« Natürlich kam keine
Antwort, egal, wie viele Stunden er sich der Aufgabe widmete.
Aber gab es eine andere Wahl, als es immer wieder zu
versuchen?
Währenddessen rumorte Sable »im Oberstock«.
Sie hatte die Einzelteile eines alten Funkgerätes entdeckt,
das die Astronauten einst dazu benutzt hatten, mit
Amateurfunkern, besonders Kindern, auf der ganzen Welt in Kontakt
zu treten. Doch das öffentliche Interesse an der Raumstation
war seit langem versiegt, und so hatte man das alte, nicht mehr
benötigte Gerät zerlegt und zur Entsorgung in die Sojus
gepackt. Und nun ging Sable daran, es wieder
funktionstüchtig zu machen. Vielleicht
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