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Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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nach
Norden vordrangen, erreichten manche der Hügel eine
Höhe bis zu dreihundert Meter über dem Pfad, den der
Trupp nahm, und so konnten vierzig oder mehr Minuten vergehen,
bis die Vorhut den höchsten Punkt erreicht hatte. Dennoch
bewegte sich die Kolonne nicht eher weiter, als bis die Kameraden
wieder ihren Posten eingenommen und den weiteren Weg für
sicher erklärt hatten. Diese Prozedur war zwar zeitraubend,
aber trotz der vielen dadurch erzwungenen Haltepausen kamen sie
beachtlich gut voran.
    Auf ihrem Marsch entdeckten sie weitere »Augen«.
Alle paar Kilometer schwebte eines davon reglos neben dem Pfad,
und alle glichen sie demjenigen in Jamrud aufs Haar. Batson trug
sämtliche Positionen auf seiner Landkarte ein. Bald wurden
sie ein ebenso vertrauter Anblick wie das erste Auge in Jamrud,
und niemand schien mehr Notiz davon zu nehmen – niemand
außer Bisesa. Es fiel ihr schwer, einer dieser silbernen
Kugeln den Rücken zuzukehren – so als wären es
wirkliche Augen, die jeden ihrer Schritte beobachteten.
    »Welch eine Landschaft!«, rief Ruddy Bisesa zu,
als sie sich über eine besonders öde Wegstrecke
voranquälten. Mit einer weiten Gebärde deutete er auf
die Sepoys, die vor ihnen marschierten. »Schnipsel
apathischer Menschheit, zermalmt zwischen dem leeren Himmel und
der ausgelaugten Erde unter den Füßen. Das trifft
für ganz Indien zu, wissen Sie – auf die eine oder
andere Weise. Doch für das Grenzland trifft es noch mehr zu
als für den Rest – wie eine Art harsche Quintessenz.
Es fällt einem schwer, sich hier seine Selbstherrlichkeit zu
bewahren.«
    »Sie sind eine seltsame Mischung aus Jung und Alt,
Ruddy«, lächelte Bisesa.
    »Oh, heißen Dank, meine Liebe. Ich nehme an, diese
endlosen Fußmärsche erscheinen Ihnen reichlich
primitiv, wenn ich mir Ihre Flugapparate und denkenden
Kästchen, diese fabelhaften Teufeleien des zukünftigen
Kriegshandwerks, vor Augen halte.«
    »Keineswegs«, entgegnete sie. »Vergessen Sie
nicht, dass ich selbst Soldatin bin; ich habe mein Quantum
Fußmärsche durchaus schon hinter mich gebracht. Bei
allen Armeen geht es um Disziplin und Zielstrebigkeit,
unabhängig vom jeweiligen Stand der Technik. Außerdem
waren – Verzeihung, sind – die britischen
Armeen für ihre Zeit technisch sehr weit fortgeschritten.
Der Telegraf kann innerhalb von Stunden eine Botschaft von Indien
nach London übermitteln, ihr habt die modernsten Schiffe der
Welt, und über Land sind eure Eisenbahnen beachtlich
schnell. Ihr habt, was wir eine rasche Reaktionsgabe nennen
würden.«
    Er nickte. »Eine Gabe, die es den Bewohnern eines
kleinen Eilandes ermöglicht hat, ein Weltreich zu schaffen
und zu erhalten, Gnädigste.«
    Als Wanderkamerad war Ruddy allemal unterhaltsam, wenngleich
nicht immer unbedingt liebenswert. Ganz gewiss war er kein
Soldat; als ziemlicher Hypochonder beklagte er sich unentwegt
über irgendetwas – seine Füße, seine Augen,
seine Kopfschmerzen, seinen Rücken. Oder er fand andere
Ursachen dafür, dass er sich, wie er sagte, »ganz
miserabel« fühlte. Aber er ertrug alles mannhaft. Wenn
Rast gemacht wurde, saß er im Schatten eines Baumes oder
Felsens und trug Notizen oder poetische Bruchstücke in ein
abgegriffenes Büchlein ein. Wenn er an einem Gedicht
arbeitete, sang er stets eine kleine Melodie vor sich hin, wieder
und immer wieder, die ihm als Grundlage für das
Versmaß diente. Er war recht unmanierlich beim Schreiben,
und mit seinen impulsiven, ruckartigen Bewegungen zerriss er
häufig das Papier und brach die Spitzen seiner Bleistifte
ab.
    Bisesa konnte immer noch nicht glauben, dass es wirklich er war. Ruddy hingegen hörte nicht auf mit seinen
Versuchen, ihr Aussagen über seine Zukunft zu entlocken.
    »Das hatten wir doch schon ein für alle Mal
besprochen«, sagte sie dann immer. »Ich denke, dieses
Recht habe ich nicht; und ich glaube nicht, dass Sie verstehen,
wie zwiespältig diese Erfahrung für mich
ist.«
    »Wie das?«
    »Für mich sind Sie Ruddy, hier und jetzt, lebendig,
vital. Und doch liegt ein Schatten aus der Zukunft über
Ihnen, ein Schatten jenes Kipling, der einmal aus Ihnen
wird.«
    »Gütiger Himmel!«, murmelte Josh,
»daran habe ich noch gar nicht gedacht!«
    »Und außerdem…« Mit einer weiten
Armbewegung deutete sie auf das tote Land. »Außerdem
hat sich einiges verändert, gelinde gesagt. Wer weiß,
ob all die Dinge in Ihren Biografien immer

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