Die Zeit-Odyssee
lockere Koalition von
Fürstentümern gewesen, die im Norden von barbarischen
Stämmen und im Süden von den hinterhältigen
griechischen Stadtstaaten bedroht wurde. Unter Philipp waren die
nördlichen Stämme bald unterworfen, und die
Konfrontation mit den Griechen stand unausweichlich bevor. Als
ihr Zeitpunkt gekommen war, schnitt Philipps entscheidende
militärische Innovation, eine erstklassig trainierte,
höchst bewegliche Reiterdivision, genannt
»Gefährten«, messerscharf durch die unbeholfene,
schwer bewaffnete Infanterie der Griechen.
Eumenes, selbst ein Stadtstaaten-Grieche aus Kardia, wusste,
dass der Groll der Griechen gegenüber ihren barbarischen
Eroberern wohl kaum je abflauen würde. Doch in einer Zeit,
in der sich die Zivilisation auf ein paar Inseln im unendlichen
Meer von Barbarei und Unbekanntem beschränkte, war den
politisch denkenden Griechen durchaus bewusst, dass ein starker
Mazedonier sie vor schlimmeren Gefahren abschirmte. Und so
priesen sie Philipps ehrgeiziges Vorhaben, ins gewaltige Reich
der Perser einzufallen – vorgeblich, um die früheren
persischen Gräueltaten gegenüber griechischen
Städten zu rächen. Die Erziehung seines Sohnes durch
griechische Lehrer – allen voran der berühmte
Aristoteles, Schüler des Plato – hatte dazu
beigetragen, König Philipp als wahren Hellenisten erscheinen
zu lassen.
Und als Philipp daranging, sich auf sein großes
persisches Abenteuer vorzubereiten, wurde er ermordet.
Der neue König war gerade einmal zwanzig Jahre alt, aber
er zögerte keinen Augenblick, dort weiterzumachen, wo sein
Vater aufgehört hatte, und eine Serie rasch aufeinander
folgender Feldzüge festigte seine Position in Mazedonien und
Griechenland. Worauf er seine Aufmerksamkeit jener potenziellen
Kriegsbeute zuwandte, die Philipp bereits in Reichweite gesehen
hatte. Das persische Imperium erstreckte sich von der Türkei
bis Ägypten auf der einen Seite und Pakistan auf der
anderen, und sein Großkönig konnte Truppen in der
Stärke von einer Million Mann aufbieten. Dennoch:
Nach sechs Jahren eines brutalen, aber brillanten Feldzuges
saß ein mazedonischer König auf dem Thron von
Persepolis.
Dieser König hatte nicht nur darauf abgezielt zu erobern,
sondern er wollte herrschen. Er hatte auch bisher schon die
Absicht gezeigt, die griechische Kultur in ganz Asien zu
verbreiten: Überall in seinem neuen Reich hatte er
Städte nach griechischem Vorbild gegründet oder wieder
aufgebaut. Und dazu war es ihm ein – weitaus
problematischeres – Anliegen, die grundverschiedenen
Völker, die nunmehr seiner Herrschaft unterstanden,
miteinander zu verschmelzen. Er selbst hatte die persische Art
sich zu kleiden und die übertriebenen persischen
Umgangsformen angenommen – und seine Männer damit
schockiert, als er in ihrer Gegenwart Bagoas, den Eunuchen, auf
die Lippen küsste.
Doch nicht nur mit der Karriere des Königs war es bergauf
gegangen, sondern parallel dazu auch mit der von Eumenes. Seine
Tatkraft, Intelligenz und politische Geschicklichkeit wurden
durch das unbegrenzte Vertrauen des Königs belohnt –
aber seine Verantwortlichkeiten hatten mit dem Wachsen des
Reiches in einer Weise zugenommen, dass er sich manchmal
fühlte, als läge das Gewicht der ganzen Welt auf seinen
Schultern.
Doch ein einziges Reich war nicht genug für diesen
König. Nachdem Persien errungen war, führte er seine
schlachterprobte Armee, alle fünfzigtausend Mann, aus dem
Süden und Westen dem reichen, geheimnisvollen Indien
entgegen. Immer weiter nach Osten ging es in unerforschtes Land,
von dem keine Karten existierten, in Richtung einer Küste,
die, so glaubte der König, das Ufer jenes Meeres sein
würde, das die Welt umschloss. Es war ein seltsames Land: In
den Flüssen gab es Krokodile, in den Wäldern riesige
Schlangen, und Gerüchte machten die Runde über
Königreiche, von denen noch niemand je etwas gehört
hatte. Aber nichts konnte den König aufhalten.
Weshalb marschierte er weiter? Manche meinten, er sei ein Gott
in sterblicher Hülle, und die Ambitionen der Götter
überstiegen eben jene von Menschen. Andere sagten, er suche
die Ruhmestaten des großen Helden Achilles
nachzuäffen. Und selbstredend war da auch Neugier: In einem
Mann, der seine Bildung von Aristoteles bezogen hatte, musste
unvermeidlich auch der brennende Wunsch heranwachsen, die Welt
kennen zu lernen. Eumenes jedoch hielt die Wahrheit für
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