Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
vorführe.«
Taramis, Jagur und Pyron folgten dem Kommandanten in den Turm. Wie bei alten Burgfrieden üblich, erreichte man den erhöhten Zugang über eine Holztreppe, die im Falle eines Angriffs leicht zerstört werden konnte. Innen hatte man das runde Gebäude nachträglich mit Mauerwerk in mehrere Geschosse aufgeteilt. Nur die Treppen waren aus Balken und Dielen gezimmert. Cedian führte die Gäste ins oberste Stockwerk.
Das Gemach war überraschend hoch. Selbst ein zehn Fuß großer Antisch hätte die mit einer Kette gesicherte Luke im Kreuzrippengewölbe ohne Leiter nicht zu erreichen vermocht.
Der Gefangene lag mitten in dem kreisrunden Raum auf einer ungepolsterten Holzpritsche, fast so als schlafe er nur. Taramis überfiel ein Schauder, als er seinen alten Erzfeind wiedersah. Der riesige Leichnam zeigte so gut wie keine Spuren von Verwesung – Ez schien alles, was einer Made schmecken könnte, verbrannt zu haben. Dunkel und eingefallen wie bei einer Mumie war die Haut, die Bochims Fischkopf überspannte. Von der blassen Tigerung, an der man zu Lebzeiten den Mischling hatte erkennen können, ließ sich kaum mehr etwas feststellen. Stattdessen bedeckten Brandflecken die Stellen an Gesicht, Armen und Beinen, wo sich das Feuer von Ez durchgefressen hatte. Der Tote trug noch den Harnisch mit dem Loch in der rechten Brust, wo der schwarze Stab in sein Herz eingedrungen war.
In den vergangenen Tagen hatte Taramis gedacht, es würde ihm nichts ausmachen, sich diesem Anblick auszusetzen, doch jetzt kamen all die verdrängten Gefühle wieder hoch. Dieser Mann hatte seine Braut ermordet, seine Mutter und viele andere Menschen, die ihm lieb und teuer gewesen waren.
»Für jemanden, der ein Jahr unter der Erde lag, hat er sich bemerkenswert gut gehalten, findet Ihr nicht?«, brach Cedian das Schweigen.
Jagur schnaubte. »Räucherware hält sich länger.«
»Sobald das hier vorbei ist, könnte ich ihn für dich einäschern«, erbot sich Pyron.
Taramis legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vielleicht komme ich später auf dein Angebot zurück. Vorerst wollen wir hoffen, dass noch genug von ihm übrig ist, um seinen Vater herzulocken. Ein Gerücht allein reicht dazu sicher nicht aus. Gaal wird sich vom Reif der Erkenntnis herführen lassen.«
»Der Gefangenenturm ist so gut wie uneinnehmbar«, gab der Kommandant zu bedenken. »Was, wenn der König umkehrt, um mit einer größeren Streitmacht wiederzukommen? Sollten wir den Toten nicht an einem leichter zugänglichen Ort aufbahren?«
»Nein«, antwortete Taramis kopfschüttelnd. »Gaal hält sich für den mächtigsten Mann der Welt. Dazu passt es, dass Komana eine halbe Armee aufwendet, um seinen Lieblingssohn zu bewachen. Laxe Schutzmaßnahmen würden unweigerlich sein Misstrauen wecken. Ich glaube ohnehin nicht, dass er den Burgfried offen angreifen wird. Und falls doch, dann nur zur Ablenkung. So wie ich ihn einschätze, wird er diesen Weg wählen.« Taramis deutete zur Decke.
»Durch die Luke?«, wunderte sich Cedian. »Der Turm ist fast hundert Fuß hoch. Um über das Dach zu kommen, bräuchte er Flügel.«
»Die hat er«, grunzte Jagur. »Und glaubt mir, Kommandant, wenn sie ihm fehlen würden, wäre das auch kein Hinderungsgrund für ihn. Er ist ein Seelenfresser und nimmt sich von jedem Lebewesen, was er gebrauchen kann. Dazu muss er es nur töten.«
Vier Tage am Ende der Welt sind eine kleine Ewigkeit. So jedenfalls empfand Taramis, als er durch das schmale Fenster seiner Wachhütte die aufgehende Sonne beobachtete. Nie hatte er, der erfahrene Krieger, das Warten als so zermürbend empfunden wie hier. Er war am Morgen nach seiner Ankunft auf das Dach des Gefangenenturmes gestiegen, und seitdem harrte er dort oben beinahe ununterbrochen aus. Um für Späher des Feindes unsichtbar zu bleiben, verließ er selten die gemauerte Hütte, die ihm außerdem als Schattenspender und Regenschutz diente. Zur Mittagszeit ließ er sich gewöhnlich für ein paar Stunden von Pyron ablösen, um sich etwas auszuruhen.
Bis zum nächsten Wachwechsel musste er sich noch ein wenig gedulden. Er reckte seine Glieder und gähnte. Ob seine Gefährten das angespannte Nichtstun als ebenso nervtötend empfanden?
Jagur war freiwillig in den Burgfried eingezogen, um dem schweigsamen Prinzen von Dagonis Gesellschaft zu leisten, wie er gesagt hatte. In dem dunklen Gemäuer fühlte er sich fast so wohl wie in seiner heimatlichen Höhle. Ganz anders waren Adomai und Usa veranlagt.
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