Die Zeugin: Thriller (German Edition)
würde. Eine Sekretärin in Stöckelschuhen aus Lackleder brachte Kaffee auf einem Silbertablett, und das Klimpern der Münzen in ihrem Kopf wurde noch lauter.
Kurz darauf trat Jerry Nussbaum ein. »Guten Tag, Ms. Mackenzie.« Er hatte die Größe eines Basketballspielers und die Flügelspannweite eines Geiers.
Rory erhob sich und schüttelte ihm die Hand.
»David Goldstein sagt, dass Sie meine Hilfe benötigen.« Er nahm an seinem Schreibtisch Platz. »Das heißt, ich höre Ihnen erst mal zu.«
Für dreihundertfünfzig Dollar pro Stunde konnte man das auch erwarten, wie Rory fand. Und sie sollte sich besser beeilen.
»Ich bin Geschworene im Elmendorf-Prozess. Die Polizei von Ransom River vermutet, dass ich mit den Bewaffneten in Verbindung stehe, die gestern das Gericht überfallen haben. Anscheinend soll ein Strafverfahren gegen mich eröffnet werden. Mit welcher Begründung, ist noch nicht ganz klar, doch es sind Begriffe wie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Beihilfe zum Mord gefallen.«
»David hat mir das in groben Zügen schon geschildert.« Nussbaum zog einen Block und einen Füller heraus. »Womit wird dieser Verdacht begründet?«
»Eine Überwachungskameraaufnahme während der Belagerung. Offenbar haben mich die Bewaffneten gezielt ausgesucht. Und später habe ich mit einem von ihnen geredet. Direkt.«
»Das ist alles?«
»Anscheinend reicht es.«
Er schrieb mit schnellen, scharfen Strichen. »Den Film müssen wir natürlich sehen.«
»Ich habe ihn schon gesehen. Mit ein bisschen Verschwörungswahn lässt sich jeder in diesem Gerichtssaal als Komplize betrachten. Aber die Cops fahren vor allem darauf ab, dass ich nach der Schussverletzung von Judge Wieland gesagt habe: ›Wir müssen ihm helfen.‹ Sie werten das als Beweis für meine Zusammenarbeit mit den Bewaffneten.«
»Das Wir .«
»Genau.«
Nussbaum wirkte nachdenklich. »Schildern Sie mir das Ganze.«
Als sie nach zwanzig Minuten zu Ende kam, pochte ihr Herz erneut, und sie hatte die Hände im Schoß verknotet. Ihr Kaffee stand unberührt auf dem Tisch.
Nach ihrer Beschreibung des Überfalls schüttelte Nussbaum den Kopf. »Seit 9 /11 hat der Heimatschutz den lokalen Strafverfolgungsbehörden eimerweise Geld zugeschaufelt – Zuschüsse für eine paramilitärische Ausrüstung. Inzwischen hat jede Fernfahrerkneipe in Amerika ein voll bewaffnetes Spezialkommando.« Er machte sich weitere Notizen. »Möchten Sie mir sonst noch was erzählen? Informationen, die sich auf die Situation auswirken könnten?«
Der typische Schachzug eines Strafverteidigers. Er hatte vor, sich voll für Rory einzusetzen und vom Ankläger stichhaltige Beweise für ihre Schuld zu fordern. Doch er hätte eine Mandantin nie offen gefragt, ob sie schuldig war. Ihn interessierte lediglich, ob sie ihm rein hypothetisch noch etwas anvertrauen wollte.
»Drei Dinge«, antwortete sie.
Nussbaums Gesicht wirkte wach und offen.
»Erstens bin ich keine Komplizin«, erklärte sie. »Ich war nur als Geschworene im Saal. Die Bewaffneten habe ich gestern zum ersten Mal gesehen.«
Aus seinem Nicken war nicht zu erschließen, ob er ihr glaubte und ob er ihre Aufrichtigkeit im Moment für relevant hielt.
»Zweitens glaube ich, dass sie für den Überfall bezahlt wurden.«
Das überraschte ihn. »Wie kommen Sie darauf?«
Sie skizzierte ihm ihre Überlegungen. Erneut machte er sich Notizen. Sein Stirnrunzeln ließ erahnen, dass er nicht wusste, was er von ihrer Theorie halten sollte.
»Drittens habe ich nicht mehr mit den Cops geredet, als sie anfingen, auf mich loszugehen. Ich habe mich auf mein Recht auf einen Anwalt berufen.«
Sein Ausdruck wurde kritisch. »Der Todeskuss.«
Sie lächelte völlig ohne Humor. »Gott segne Amerika.«
Sorgfältig schraubte er seinen Füller zu und legte ihn auf den Block.
»Ach, und viertens. Ich wurde gerade entlassen. Vielleicht kann ich die Kosten abarbeiten. Ich mache alles. Dokumente abheften, Umschläge zusammenkleben. Zur Not spiele ich sogar eine durchgeknallte Zeugin, die Sie ins Kreuzverhör nehmen können.«
Nussbaum zögerte. Seine Stimme klang nicht ganz unbeschwert, doch er lächelte. »Sie haben die Anwaltszulassung für New York?«
»Ja, und im Februar lege ich die Prüfung für Kalifornien ab.«
»Dann, liebe Kollegin, haben wir nach Abschluss die ser Angelegenheit vielleicht einen Schreibtisch für Sie in der Bibliothek. Bis dahin können wir uns ja auf das Honorar einigen.«
»Vielen Dank«,
Weitere Kostenlose Bücher