Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Alex dann nicht allein zurück.« Ich zog die Jacke an und nickte ihnen zu. »Ciao, alle miteinander, einen schönen Abend noch. Wir sehen uns morgen.«
Mit ruhigem Schritt durchquerte ich das Lokal Richtung Ausgang. Natürlich drehte ich mich nicht ein einziges Mal um, aber ich fühlte die vier Augenpaare, die sich in meinen Rücken bohrten, bis die Tür sich hinter mir geschlossen hatte.
Erst dann begannen meine Nerven zu flattern. Ich lehnte mich auf der menschenleeren Straße an eine Hauswand und schloss die Augen. Die drei Hexen hatten meinen Abgang sicherlich als triumphalen Sieg verbucht: Von ihrem Standpunkt aus konnte es gar nicht anders sein. Ich hätte gern behauptet, dass mir das egal war, dass ich mein Urteil über die drei ohnehin gefällt hatte und dies nur ein letzter Test war, eine letzte Probe, wer mein Verbündeter war und wer nicht. Aber natürlich war es mir nicht egal, im Gegenteil. Ich war so wütend, dass ich von Kopf bis Fuß zitterte.
Alex hatte seine Wahl getroffen. Zum zweiten Mal hatte er sich auf ihre Seite geschlagen und meinem Weggehen zugesehen, ohne auch nur einen Finger zu rühren, um mich aufzuhalten.
Trotzdem entschied ich mich, ihn nicht zu bestrafen. Nicht weil ich Mitleid hatte, sondern weil es unter meiner Würde war. Alex’ Entscheidungen basierten nicht auf einem freien Willen, sondern auf einem fehlenden Willen; er hatte die Zügel seines Lebens anderen überlassen. Einem solchen Hampelmann würde ich kein Haar krümmen.
Aber den anderen dreien …
Ich fletschte die Zähne, löste mich schnell von der Mauer und fühlte, wie der Wolf kam. Hatte ich ihn gerufen? Ich hätte es nicht sagen können, aber das hatte keine Bedeutung. Ich ging in die Hocke, stieß mich ab und sprang auf das Dach des Hauses, in dem sich das Lokal befand. Von dort erreichte ich in wenigen Sätzen die Straßenecke, flog auf das Geländer eines Balkons und dann auf ein anderes, höheres Dach auf der anderen Straßenseite.
Mailand lag mir zu Füßen, leuchtend wie nie zuvor. Ich schaute staunend auf das Meer aus farbigen Lichtern, die aus den Straßenschluchten emporschimmerten und sich in den Fassaden der höchsten Gebäude spiegelten. Und mittendrin schlängelte sich etwas empor, etwas wirklich Seltsames … Es sah aus wie unglaublich feine Lichtschleier, ähnlich den Nordlichtern, die ich aus dem Fernsehen kannte. Wellenförmig und unbeweglich stiegen sie vom Boden auf und leuchteten durch die Gebäude hindurch, als ob diese keine feste Konsistenz hätten. Ich hob den Blick und sah, wie sie ganz weit oben die Wolken berührten. Sie bildeten am Himmel eine seltsame Landkarte aus Licht – aus gewundenen Linien, die sich immer wieder kreuzten und in alle Richtungen verliefen, von einem Horizont zum anderen.
Es war das sonderbarste Schauspiel, das ich mit meinen Wolfsaugen bisher gesehen hatte, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, worum es sich dabei handelte.
Ich blieb eine Zeit lang stehen und betrachtete es, bis sich an den Rändern meines Blickfelds, unten auf der Straße, etwas bewegte, und Wortfetzen zu hören waren.
Nur mit Mühe löste ich den Blick von den Luftschleiern, gerade noch rechtzeitig, um auf der Straße die vier Gestalten zu sehen, die laut lachend und redend aus dem Lokal kamen. Ich hätte sie auch ohne die Sinne des Wolfes erkannt.
Sie blieben noch eine halbe Minute vor dem Eingang stehen und plauderten, dann trennten sie sich: Angela, Elena und Alex gingen gemeinsam in Richtung Metro; Susanna war allein in die entgegengesetzte Richtung unterwegs.
Ich folgte ihr mit den Augen und spürte dabei ein seltsames Prickeln in der Kehle. Wenn sie mitten in der Nacht ohne die anderen nach Hause ging, dann wohnte sie sicher ganz in der Nähe. Ich erhaschte noch einen Blick auf das Grüppchen, das gerade hinter einer Straßenecke verschwand; jetzt war Susanna allein da unten, aber im nächsten Augenblick würde auch sie in einer der umliegenden Straßen verschwinden.
Ich handelte völlig impulsiv. Es war nicht wie vor Giadas Fenster, wo ich wenigstens eine Sekunde über den nächsten Schachzug nachgedacht hatte. Diesmal dachte ich nicht im Mindesten nach.
Ich rannte das Dach entlang, bis ich auf Susannas Höhe war, und sprang dann hinunter. Ich landete hinter ihr auf dem Asphalt, schlang ihr einem Arm um die Taille und sprang mit ihr auf ein Dach auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Als ich sie packte, stieß Susanna eine Art Schrei aus, aber ich presste sie so fest
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