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Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)

Titel: Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
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gehabt?«, fragte er.
    »Tja, ich habe herausbekommen, dass dieser Kent irgendwas mit Elendsquartieren in Bethnal Green und The Core zu tun hat. Da beide Orte quasi die Hölle auf Erden sind, sagt uns das zumindest, dass er keine Skrupel kennt.«
    »The Core« war der Name, den die fürchterliche Mietskaserne hier in Seven Dials erhalten hatte. Jimmy empfand eine Art morbider Faszination für diesen Ort. Es hieß, dass dort bis zu zwölf Personen in einem Zimmer schliefen, und die sanitären Anlagen bestanden aus einem Wasserhahn und einer Latrine, die eine Gesundheitsgefährdung darstellte, in jedem Hof. Er hatte sich schon immer gefragt, wie das Gebäude zu seinem merkwürdigen Namen » The Core« , »der Kern«, gekommen war, aber niemand hatte darauf antworten können. Onkel Garth meinte, wahrscheinlich hätte jemand einfach gesagt, es wäre »verrottet bis zum Kern«, und der Name wäre hängen geblieben.
    Jimmy war es ein Rätsel, wie es irgendein Mensch ertragen konnte, an einem so grauenhaften Ort zu leben. Sie mochten völlig mittellos sein, die Trinker, die Kranken und Schwachsinnigen, die dort zusammen mit einer Schar Krimineller und Kinder lebten, die entweder von daheim weggelaufen oder hinausgeworfen worden waren. Aber niemand sollte gezwungen sein, so zu leben. Sie bettelten auf den Straßen, stöberten im Abfall oder stahlen, und das ganze Gebäude war eine Brutstätte schlimmer Krankheiten.
    »Was heißt, er hat etwas damit zu tun?«, fragte Jimmy. »Ist er der Eigentümer oder nur der, der die Mieten eintreibt?«
    »Keine Ahnung«, gestand Noah. »Aber ich kenne jemanden bei der Zeitung, der der Sache nachgehen will.«
    Noah blieb bis ungefähr halb zehn in der Kneipe, und als er gegangen war, half Jimmy Holzbein-Alf beim Spülen der Gläser. Alf hatte sein Bein um 1850 herum im Krimkrieg verloren, als er kaum mehr als ein Junge war, und war danach als Invalide aus der Armee entlassen worden. Seither schlug er sich mit Betteln und Gelegenheitsarbeiten durchs Leben.
    Alf lebte im Core . Der Mann war um die siebzig und teilte sich ein Zimmer mit mehreren anderen, deren Situation ähnlich prekär war. Wären nicht manche Gastwirte, wie zum Beispiel Garth, so nett gewesen, ihm für das Spülen der Gläser und Kehren des Bodens eine warme Mahlzeit und ein paar Shilling zu geben, hätte er nicht überleben können.
    »Kennst du den Mann, den alle ›den Falken‹ nennen?«, fragte Jimmy, während er ein paar Gläser abtrocknete.
    »Tja, den kenn ich, und ein ganz übler Bursche ist das«, sagte Alf und spähte über seine Schulter, als hätte er Angst, der Mann wäre da. »Mit dem solltest du dich lieber nicht anlegen, mein Sohn.«
    »Warum hast du Angst vor ihm?«, wollte Jimmy wissen.
    Alf verzog das Gesicht. »Wenn du in meinem Alter bist und einerdich auf die Straße setzen kann, weil ihm dein Gesicht nicht passt, kann man ruhig ein bisschen Angst haben.«
    »Ist er dein Hausherr?«, fragte Jimmy in der Hoffnung, Alf würde ihm mehr erzählen.
    »Keine Ahnung, ob ihm die Bude gehört, aber auf jeden Fall schickt er uns den schleimigen Mistkerl, der die Miete kassiert. Er hat seine Spione überall, und kaum zieht einer bei jemand ein, um mit der Miete zu helfen, zahlst du im Handumdrehen mehr. Eines Abends hatte ich meine Miete nicht beisammen, und da hat er gesagt, wenn ich sie ihm nicht am nächsten Tag in sein Büro bringe, sitze ich auf der Straße.«
    »Hattest du sie am nächsten Tag?«, fragte Jimmy. Alf sah so dünn und gebrechlich aus, als könnte ihn ein Windhauch umpusten. Meistens roch er nicht gut, aber dafür konnte jemand wie er, der an einem so furchtbaren Ort lebte, nichts. Und Alf war ein guter Kerl und grundehrlich.
    »Ja, ich hab ihm das Geld gebracht.« Alf verdrehte die Augen. »Da saß er mit den Füßen auf dem Schreibtisch vor mir und spielte sich als großer Herr auf. Wette, der hat noch keinen Tag in seinem Leben ehrliche Arbeit geleistet.«
    »Und wo ist sein Büro?«, fragte Jimmy.
    Jimmy konnte seine Freude kaum zügeln, als er erfuhr, dass sich Kents Büro in den Mulberry Buildings auf der Long Acre Road befand. Da er wusste, dass es sein Onkel kaum billigen würde, wenn er dort einbrach   – auch wenn es sich um das Büro eines Mörders handelte –, wartete Jimmy, bis die Bar geschlossen und Garth zu Bett gegangen war. Dann erst schlich er sich heimlich hinaus.
    Die Long Acre Road war in der Nähe des Covent Garden Markts, eine Straße, in der sich vor allem Büros

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