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Dönerröschen

Titel: Dönerröschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaromir Konecny
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ich zur Eisdiele. Ein Tag voller Gefahren wartete auf uns: Mein Vater war auch in Neuperlach unterwegs. So wie wir. Ich war mir sicher, dass wir bei unserem Ausflug noch mal auf ihn stoßen würden. Und dann: Weltuntergang!

    Wir radelten zum Friedhof in Perlach. Warum auch nicht? Ins Kino oder zum Meggi konnte jeder Depp ein Mädchen ausführen. Ein Friedhof war aber voll originell, oder? Vielleicht kannte sie den Friedhof ja nicht? Sie war schließlich noch jung. »Kenne ich«, sagte Bebisch. »Ist sowieso nichts für mich. Um sich hier zum Schlafen legen zu können, muss man mindestens zwanzig Jahre in Perlach wohnen. Schau! Dort auf dem Schild steht’s. Und ich bin erst sechzehn.«
    »So meinte ich das nicht«, sagte ich. »Ich habe gedacht, dass du auch Stille magst. Manchmal.«
    »Doch«, sagte sie. »Stille mag ich auch.«
    »Bist du Muslimin?«
    »Ich glaube an den Gott der schönen Dinge«, sagte Bebisch. »Aber hier liegen nicht viele Türken. Die meisten Deutschtürken wollen in der Türkei begraben werden.«
    »Gibt’s in Deutschland keine muslimischen Friedhöfe?«
    »Gibt’s auch. Aber weißt du … ich … ich fühle mich wahrscheinlich nicht viel anders als du, Josch. Auch wenn meine Oma und mein Opa in einem muslimischen Land geboren wurden. Eine türkische Freundin hat sich mal am Fuß verbrannt. Die deutschen Ärzte haben ihr ein Stück Haut von ihrem Schenkel genommen und pflanzten die Haut an ihrem Fuß ein. Aber von dem entnommenen Hautstück blieb ihr am Schenkel eine Narbe. Ihre Mutter hat den Arzt gefragt, warum man bei ihrer Tochter das Hautstück nicht von ihrer Hüfte genommen hätte, wo’s keiner sieht, jetzt könnte ihre Tochter deswegen keinen kurzen Rock mehr tragen. ›Das Mädchen ist doch Muslimin‹, sagte der Arzt, und Musliminnen würden sowieso keine kurzen Röcke tragen. Die Leute mögen Schubladen.«
    »Viele türkische Frauen hier laufen aber in Kopftüchern rum«, sagte ich. »Manche schämen sich, ihre Nase zu zeigen.«
    »In Niederbayern gibt’s Dörfer, wo alle Leute auch nur das machen, was ihnen der Pfarrer sagt«, sagte sie. »Viele Türken vom Land sind wegen der Arbeit nach Deutschland gekommen. Meistens gehen die Ärmsten weg. Istanbul ist eine moderne Weltmetropole. Ich bin in München geboren, Josch. Und Baba auch.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Erinnerst du dich noch an meinen Glücksbringer?«, fragte sie.
    »Deinen Glücksbringer?«
    »Meinen Skarabäus!«
    »Den Anhänger, den du mit zehn um den Hals getragen hast?«
    »Ja! Mein Glücksbringer ist kurz vor dir verschwunden. Zuerst ging der Skarabäus weg, dann du.«

    Manchmal kam Bebisch ohne ihre Mama zu meiner Tante. »Das ist schön«, sagte ich und zeigte auf ihr Lederhalsband. Von der Lederschnur hing ein kleiner Steinkäfer.
    »Das ist ein uralter Skarabäus«, sagte Bebisch. »Mein Onkel hat ihn auf seinem Feld in Anatolien ausgegraben, als er dort einen Schuppen bauen wollte. »Der bringt Glück!«
    »Ich kaufe mir einen Skarabäus als Ohrring«, sagte ich.
    »Du hast doch gar kein Loch im Ohr.«
    »Ich mach mir gleich eins«, sagte ich, lief ins Haus und holte aus dem Werkzeugkasten im Keller eine Lochzange. Vor Bebisch tat ich so, als ob ich mir damit ein Ohrloch stechen wollte, aber sie riss mir die Zange aus der Hand und warf sie in die Mülltonne. Als sie weg war, holte ich die Zange heraus, durchstach die Ohren von meinem Plüschhasen und verpasste ihm zwei alte Ohrringe von meiner Tante.

    Der Friedhof deprimierte uns. Nichts wie weg hier. Leben gab’s im Ostpark: Auf den Wiesenwellen surften Mädchen in ihren kurzen Röcken. Ich lud Bebisch auf eine Apfelschorle im Michaeligarten ein. Wir hockten direkt am See. Die Sonne lachte sich einen ab, wie sich hier die Leute an Spareribs und Bier labten. Ein gefundenes Brezenstück bröselten wir einem Paar großer Schwäne hin. Keine Fische im Wasser für die hungrigen Vögel. Der See war künstlich angelegt worden. Hier gab’s nur Steckerlfisch. »Schwäne sind große Gänse, nur schöner«, sagte Bebisch. »Ein Schwanenpaar bleibt für immer zusammen. Ein Schwan vergisst seine Freundin nie.«
    »Du wirst mir nie verzeihen«, sagte ich.
    »Ich habe dir schon verziehen«, sagte sie und küsste mich auf den Mund. Kurz, sanft, leicht. Mit Disziplin! Wie damals mit zehn. Ein kurzer Blick ins Paradies »Trotzdem stehen dir noch ein paar Prüfungen bevor«, sagte sie. »Und nicht vergessen! Heute musst du mir etwas zeigen, was ich noch nie gesehen

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